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Suchtgift: Beitrag zu eigenverantwortlicher Selbstschädigung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StGB: § 12, § 80, § 81, §§ 83 ff

Anders als die Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung (§ 78 StGB) ist die Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder -verletzung mit Blick auf den Grundsatz der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jedes Menschen (Autonomieprinzip) mangels Vorliegens eines deliktstypisch sozial-inadäquat gefährlichen Verhaltens straflos. Setzt sich nämlich jemand freiwillig und selbstverantwortlich einer bestimmten Gefahrenlage aus und ist er sich des damit verbundenen Risikos bewusst, hat er die ihm daraus erwachsenden Gefahren selbst zu tragen. Deren Realisierung ist einem Dritten, der an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mitgewirkt hat, nicht anzulasten.

Nicht nach §§ 83 ff StGB strafbar macht sich demnach, wer zum eigenverantwortlichen gesundheitsschädigenden oder körperverletzenden Suchtgiftkonsum eines anderen durch Überlassen oder Aufbereiten des Suchtgifts beiträgt.

Nur wenn dem Opfer die Eigenverantwortlichkeit fehlt (etwa aufgrund seines geringen Alters, zufolge Krankheit, Berauschung, Schock, gravierender Beurteilungs- oder Willensmängel), findet das Autonomieprinzip seine Grenzen. Diesfalls kommt (Vorsatz des Täters vorausgesetzt) Strafbarkeit nach (hier:) §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB in Betracht (Beitrag zu Körperverletzung mit tödlichem Ausgang).

OGH 29. 5. 2019, 15 Os 30/19d

Entscheidung

Im vorliegenden Fall hat die Angeklagte über Ersuchen von S***** das Suchtgift zwar aufgekocht und in einer Spritze aufgezogen, S***** hat sich das Suchtgift aber selbst injiziert, was zu seiner tödlichen Morphinvergiftung führte. Da keine (ausreichenden) Feststellungen zum Fehlen seiner Eigenverantwortlichkeit (und zu einem darauf bezogenen Vorsatz der Angeklagten) vorliegen, war die Subsumtion nach §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB rechtlich verfehlt. Der OGH hat daher gem § 292 letzter Satz StPO (ua) den Schuldspruch aufgehoben und eine neue Verhandlung und Entscheidung angeordnet.

Für das weitere Verfahren merkt der OGH ua an:

Führt der eigenverantwortliche Suchtgiftkonsum zum Tod des Konsumenten, so kommt Strafbarkeit desjenigen, der für diese (lebensbedrohliche) Gefahrensituation mitursächlich wurde (etwa wie hier durch das Aufbereiten von Suchtgift), auch nach § 80 Abs 1 StGB (fahrlässige Tötung) (allenfalls nach § 81 Abs 1 StGB) grundsätzlich nicht in Betracht.

Der auch hier geltende Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit findet aber dort seine Grenzen, wo die Selbstgefährdung des anderen (hier: des Suchtgiftkonsumenten durch eigenhändige Injektion von Suchtgift) erkennbar auf einem gravierenden Beurteilungsmangel seitens des Konsumenten beruht (zB Schock, Panik, Irrtum, Täuschung, jugendliche Unreife, Berauschung) oder der an der Selbstgefährdung Mitwirkende das drohende Risiko etwa kraft seines Alters, seiner Erfahrung oder seines überlegenen Wissens besser erfasst. Trifft denjenigen, der für den (tödlichen) Suchtgiftkonsum mitursächlich wurde, eine besondere Schutzpflicht (etwa aufgrund von Unterschieden der Verstandesreife, der körperlichen Kräfte oder der Einsichtsfähigkeit), kann ihm (eigenes) sorgfaltswidriges Verhalten für den Tod des anderen angelastet werden. Demnach kann etwa bei mangelndem Wissen des Konsumenten um die Gefährlichkeit des Suchtmittels, bei Vorliegen eines akuten Suchtgiftrausches oder willensbeeinträchtigender Entzugserscheinungen das Überlassen einer tödlichen Suchtgiftdosis als sorgfaltswidriges Verhalten Strafbarkeit nach § 80 StGB begründen.

Allenfalls wäre auch § 94 StGB (Imstichlassen eines Verletzten) zu prüfen (vgl aber auch § 94 Abs 4 StGB, wonach der Täter nach Abs 1 und 2 nicht zu bestrafen ist, wenn er schon wegen der Verletzung mit der gleichen oder einer strengeren Strafe bedroht ist).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27919 vom 10.09.2019