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Unschuldsvermutung bei Widerruf einer bedingten Strafnachsicht

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EMRK Art 6

StGB § 53

StPO: § 8, § 86, § 238, § 270, § 271, § 494

1. Das Recht auf Achtung der Unschuldsvermutung wird verletzt, wenn der Widerruf einer bedingten Strafnachsicht damit begründet wird, dass das Gericht Gewissheit darüber erlangt hat, dass der Verurteilte eine neue strafbare Handlung während der Probezeit begangen hat, noch bevor dieser hiefür rechtskräftig verurteilt worden ist.

2. Der „wesentliche Inhalt“ eines im Protokoll beurkundeten Beschlusses (hier: betr die Erteilung einer Weisung) iSd § 86 Abs 3 zweiter Satz StPO beinhaltet im Fall eines aufgrund Rechtsmittelverzichts unanfechtbaren Beschlusses nicht auch dessen Begründung; ist dies doch unter dem Aspekt der Nachvollziehbarkeit weder für die Parteien noch für eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht notwendig.

Unterbleibt die Beschlussausfertigung jedoch, weil der Beschluss zwar anfechtbar ist, aber ein selbstständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtmittel nicht zulässig ist, sind die tatsächlichen und rechtlichen Annahmen, die der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, (soweit) anzugeben, um die Parteien über die Erwägungen des Gerichts in Kenntnis zu setzen und ihnen zu ermöglichen, ihr Prozessverhalten danach auszurichten, sowie um das Rechtsmittelgericht in die Lage zu versetzen, die Entscheidung zu überprüfen.

3. Wurde in der Hauptverhandlung ein Beschluss nach § 494 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO gefasst und verkündet (Erteilung von Weisungen bzw Anordnung der Bewährungshilfe), muss dieser rechtskräftige Beschluss auch im Protokollsvermerk enthalten sein (neben den Angaben gem § 271 Abs 1 Z 1 - 3 StPO), wenn dasHauptverhandlungsprotokoll durch einen Protokollsvermerk ersetzt wird.

OGH 13. 1. 2016, 15 Os 136/15m (15 Os 137/15h, 15 Os 138/15f, 15 Os 139/15b)

Entscheidung

Im vorliegenden Fall hatte das LG für Strafsachen Wien folgende Weisung erteilt: „Für die Dauer der Probezeit wird die Weisung erteilt, eine Alkoholtherapie zu absolvieren und dem Gericht den Beginn binnen eines Monats und sodann in weiteren zweimonatigen Abständen die Fortsetzung der Therapie bei sonstigem Widerruf nachzuweisen.“

Strittig war, ob diese Weisung ausreichend konkretisiert ist.

Nach Ansicht des OGH ergibt sich aus dem Kontext der Weisungserteilung (Delinquenz iZm einer Alkoholmissbrauchsproblematik) noch hinreichend deutlich, dass dem Verurteilten - mit seiner Zustimmung und im Übrigen von ihm auch in diesem Sinn verstanden - die Anordnung erteilt wurde, sich einer Entwöhnungsbehandlung zu unterziehen - und nicht einer hier primär nicht indizierten sonstigen psychotherapeutischen oder medizinischen Behandlung. Zu einer näheren Bestimmung der Modalitäten (Bezeichnung des Therapeuten, Festlegung des Behandlungsablaufs) war das Gericht nicht verhalten (vgl 13 Os 89/11d, LN Rechtsnews 11854 vom 17. 10. 2011; Schroll in WK2 StGB § 51 Rz 7). Da der Beschluss des LG daneben auch die Nachweismodalitäten bestimmt festlegt (erstmals nach einem Monat, danach in zweimonatigen Abständen), ist er nach Ansicht des OGH insgesamt ausreichend konkretisiert, um verhaltensbestimmende Wirkung zu entfalten.

Eine Verletzung der Unschuldsvermutung wurde vom OGH im vorliegenden Fall verneint: Das LG hatte seine Widerrufsentscheidung ausschließlich auf die mutwillige Nichtbefolgung der Weisung trotz förmlicher Mahnung gestützt (§ 53 Abs 2 StGB). Die ersichtlich bloß illustrative Erwähnung des neuen, zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens und der verhängten Untersuchungshaft war daher bei der Beschlussfassung nicht begründungsrelevant.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21314 vom 21.03.2016