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Unzulässige Verwendung eines Behindertenausweises: Vorrang gerichtliches Strafrecht vor Verwaltungsstrafrecht

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

StGB: § 146

VStG: § 22

Wr ParkometerG 2006: § 4

Die auf § 15 Abs 3 Z 5 Finanzausgleichsgesetz 2005 und § 1 Abs 1 Wr ParkometerG 2006 beruhende Wr Parkometerabgabeverordnung normiert in § 1, dass für das Abstellen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen in Kurzparkzonen eine Abgabe zu entrichten ist. Nach § 6 lit g) leg cit ist die Abgabe ua für Fahrzeuge, die von Inhabern eines Parkausweises für Menschen mit Behinderungen gem § 29b StVO 1960 abgestellt oder in denen solche Personen befördert werden, nicht zu entrichten, sofern diese beim Abstellen mit einem solchen Ausweis gekennzeichnet sind.

Wer durch Handlungen oder Unterlassungen die in der genannten Verordnung normierte Abgabe hinterzieht oder verkürzt, begeht gem § 4 Abs 1 des Wiener ParkometerG 2006 eine mit Geldstrafe bis zu 365 Euro zu ahndende Verwaltungsübertretung. Derartige Verstöße unterliegen dem VStG iVm dem Wr ParkometerG 2006 als Materiengesetz.

§ 22 Abs 1 VStG normiert – unbeschadet einer allfälligen abweichenden (fallaktuell nicht vorliegenden) Regelung im Materiengesetz – den Vorrang gerichtlichen Strafrechts vor Verwaltungsstrafrecht. Eine Tat ist demnach nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllt, wobei es auf eine allfällige abweichende Schutzwirkung der gerichtlichen Strafbestimmung nicht ankommt.

Dem Anklagesachverhalt zufolge täuschte der Angeklagte mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch das Einlegen der Kopie eines fremden Behindertenausweises ein allenfalls kontrollierendes Organ über seine Berechtigung zur kostenlosen Nutzung des Parkplatzes und schädigte dadurch die Gemeinde W* in der Höhe der Gebühr für den betreffenden Parkvorgang am Vermögen. Diese Tat ist sowohl § 146 StGB als auch § 4 Abs 1 Wr ParkometerG 2006 subsumierbar. Aufgrund des tateinheitlichen Zusammentreffens der gerichtlich strafbaren Handlung mit der Verwaltungsübertretung ist Letztere (ungeachtet der Herkunft konkurrierender Normen von unterschiedlichen Gesetzgebern [Bund/Land]) gem § 22 Abs 1 VStG nicht strafbar und darf die Tat nur wegen des gerichtlichen Tatbestands verfolgt werden.

Für eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 FinStrG auf den vorliegenden (keine Abgaben iSd Art I FinStrG betreffenden und somit nicht dem FinStrG unterliegenden) Sachverhalt besteht mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum.

OGH 18. 1. 2023, 15 Os 111/22w

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33910 vom 13.04.2023