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Verbindung von Beschwerdeverfahren - Semmering-Basistunnel

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

AVG § 39

VwGVG § 17

Der Gesetzgeber ist bei der Erlassung des VwGVG davon ausgegangen, dass eine Verbindung von Beschwerdeverfahren nicht nur zulässig, sondern auch geboten sein kann, wie sich aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 39 Abs 2a AVG ergibt. Damit ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte unter den Voraussetzungen des § 39 Abs 2 AVG berechtigt und unter der Voraussetzung des § 39 Abs 2a AVG auch verpflichtet sind, Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung zu verbinden.

Die Verbindung der diversen Beschwerdeverfahren betreffend den „Semmering-Basistunnel neu“ durch das BVwG stößt auf keine Bedenken, zumal gerade in diesem Fall die Verbindung der Verfahren ohne Zweifel im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis iSd § 39 Abs 2 und Abs 2a AVG liegt.

VwGH 17. 11. 2015, Ra 2015/03/0058

Entscheidung

Aufhebung der Bewilligung betr Naturschutz

Im Mai 2015 erteilte das Bundesverwaltungsgericht die Bewilligungen (ua nach dem EisbG und dem steirischen und dem NÖ NSchG) für die Errichtung des Semmering-Basistunnels. Die Revision einer Umweltorganisation dagegen wurde vom VwGH betr die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung zurückgewiesen; die Bewilligung nach dem NÖ NSchG wurde hingegen aufgehoben.

Die Einwände der Umweltorganisation gegen die eisenbahnrechtliche Baubewilligung zeigten nach Ansicht des VwGH keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf: Weder hat das BVwG das öffentliche Interesse an der Errichtung des Semmering-Basistunnnels fehlerhaft beurteilt, noch steht die Stellung der Semmeringbahn als UNESCO-Welterbe der Bewilligung entgegen.

Da das Projekt Semmering-Basistunnel aber ein „Europaschutzgebiet“ berührt, darf die Bewilligung nur nach Durchführung einer Naturverträglichkeitsprüfung erteilt werden. Dabei kommt es darauf an, ob ein Projekt „einzeln oder in Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten“ ein Europaschutzgebiet erheblich beeinträchtigen kann. Das BVwG hat aber bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, welche Auswirkungen sich aus dem Zusammenwirken des Tunnelneubaus mit bereits verwirklichten Projekten - hier konkret der S6-Semmering-Schnellstraße - ergeben. Das BVwG muss daher nun das Verfahren betreffend die Bewilligung nach dem NÖ NSchG fortführen und die erforderlichen Feststellungen zu den kumulativen Auswirkungen von Schnellstraße und Bahntunnel treffen.

In seiner 74 Seiten umfassenden Entscheidung hat der VwGH zudem zusammengefasst ua ausgesprochen:

Teilkonzentriertes Verfahren

Aus der Rsp des VwGH kann nicht abgeleitet werden, dass sämtliche Genehmigungsbescheide, die in einem teilkonzentrierten Verfahren nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 erlassen wurden, in einem solchen Verhältnis zueinander stehen, dass die Aufhebung eines Bescheides zwingend zur Aufhebung sämtlicher anderer (teilkonzentrierter) Bewilligungsbescheide führt. Vielmehr ist im Falle der Aufhebung eines solchen (teilkonzentrierten) Bescheides zu prüfen, ob er eine Grundlage für die anderen Bescheide darstellt. Nur dann kann der Wegfall des Grundlagenbescheides auch zu einer Aufhebung der übrigen teilkonzentrierten Bescheide führen.

Umweltorganisation

In einem Verfahren wie dem gegenständlichen, das dem Anwendungsbereich der UVP-RL unterliegt, muss es einer eingetragenen Umweltorganisation möglich sein, dieselben Rechte geltend zu machen wie ein Einzelner. Daher kommt es der eingetragenen Umweltorganisation auch zu, die Einhaltung solcher Umweltschutzvorschriften wie etwa des § 31f EisbG geltend zu machen, die nicht nur Interessen der Allgemeinheit, sondern auch Rechtsgüter des Einzelnen schützen, und deren Schutz vor Beeinträchtigung etwa auch durch den einzelnen Nachbarn als subjektiv-öffentliches Recht im Verfahren geltend gemacht werden können.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Begriff der „Umweltschutzvorschrift“ grundsätzlich weit zu verstehen und nicht auf Normbereiche einzuschränken ist, die in unmittelbarem Bezug zum Schutz der Umwelt stehen. Vielmehr umfasst der Begriff der „Umweltschutzvorschrift“ jene Rechtsvorschriften, die direkt oder indirekt dem Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Aus- oder Einwirkungen dienen.

Gesamteuropäisches öffentliches Interesse

Die Errichtung des „Semmering-Basistunnel neu“ liegt nicht nur im nationalen öffentlichen Interesse, sondern es ist auch ein gesamteuropäisches öffentliches Interesse an dessen Errichtung evident und von größter strategischer Bedeutung iSd TENVO [VO (EU) 1315/2013 über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes ...].

Sowohl die Frage des gesamtwirtschaftlichen Interesses als auch jene der prognostizierten Verkehrszahlen stellen aber nur einen Teilaspekt der Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Verwirklichung des Vorhabens „Semmering-Basistunnel neu“ dar. Es kann somit nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn das BVwG auch weitere Aspekte, etwa die Frage des regionalwirtschaftlichen Nutzens oder der Fahrzeitverkürzung der Strecke Wien-Graz, in die Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Verwirklichung des „Semmering-Basistunnel neu“ einfließen ließ.

Weltkulturerbe

Es kann dahinstehen, ob sich aus dem Beschluss Nr 785 des „Komitees für das Erbe der Welt“ ergibt, dass nicht nur die Semmeringbahn selbst, sondern auch die umgebende Kulturlandschaft in die Liste des Erbes der Welt gem Art 11 Abs 2 des UNESCO-Übereinkommens aufgenommen wurde. Dem UNESCO-Übereinkommen ist nämlich keine völkerrechtliche Verpflichtung zu entnehmen, die der Erteilung einer Bewilligung für den „Semmering-Basistunnel neu“ entgegensteht; vor diesem Hintergrund ist auch entbehrlich, näher zu prüfen, ob das geschützte Objekt „Semmering Eisenbahn“ („Semmering Railway“) dem Grunde nach durch das gegenständliche Vorhaben beeinträchtigt werden könnte. Art 4 des UNESCO-Übereinkommens, der nähere Regelungen zum im eigenen Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates befindlichen Kultur- und Naturerbe trifft, ist nur iS einer grundsätzlichen politischen Ausrichtung zu verstehen. Selbst wenn daher das BVwG eine Abgrenzung des geschützten Objekts „Semmering Eisenbahn“ vorgenommen hätte, die dem Beschluss des Welterbe-Komitees widerspricht - was vorliegend aber gar nicht näher zu prüfen ist -, könnte diese Abgrenzung der Erteilung der Bewilligung nicht entgegenstehen.

UVP-G 2000 - Zuständigkeit des BVwG

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist das BVwG für Beschwerden gegen Entscheidungen nach dem UVP-G 2000 umfassend zuständig.

Auch für Verfahren wie das vorliegende, in dem gem § 46 Abs 23 UVP-G 2000 die Bestimmungen des § 24 Abs 1, 3, 3a und 7, § 24a Abs 3 und § 24f Abs 6 und 7 UVP-G 2000 in ihrer Fassung vor BGBl I 2012/77 anzuwenden sind, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass in einem solchen teilkonzentrierten Verfahren nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 ergangene Bescheide einer Bezirksverwaltungsbehörde Entscheidungen nach dem UVP-G 2000 sind. Daher hat das BVwG in diesen Fällen auch über Beschwerden zu entscheiden, die sich gegen die naturschutzrechtliche Bewilligung einer Bezirksverwaltungsbehörde iZm einem Vorhaben richten, das nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 zu bewilligen ist.

Naturverträglichkeitsprüfung

Im Rahmen der Naturverträglichkeitsprüfung (NVP) ist das Zusammenwirken des geplanten Projekts mit anderen Plänen oder Projekten auch im Rahmen des Bewilligungsverfahrens gem § 10 Abs 3 NÖ NSchG 2000 zu prüfen. Auch wenn § 10 Abs 3 NÖ NSchG 2000 - anders als Abs 1 - das Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nicht ausdrücklich erwähnt, müssen etwaige Kumulationseffekte auch bei der gem § 10 Abs 3 NÖ NSchG 2000 vorzunehmenden Prüfung einer Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Europaschutzgebietes berücksichtigt werden.

Hinweis:

Zum Semmering-Basistunnel siehe bereits

-VwGH 19. 12. 2013, 2011/03/0160, 0162, 0164, 0165, LN Rechtsnews 16708 vom 11. 2. 2014;
-VwGH 26. 5. 2014, 2013/03/0144;
-VwGH 26. 6. 2014, 2013/03/0021;
-VwGH 26. 6. 2014, 2013/03/0062, LN Rechtsnews 17822 vom 11. 8. 2014;
-VwGH 12. 8. 2014, 2012/10/0088 sowie
-VwGH 3. 10. 2013, 2012/09/0075.

Der Volltext der Pressemitteilung und der Entscheidung ist derzeit auf der Homepage des VwGH (www.vwgh.gv.at) unter „Medien“ - „Medienmitteilungen“ abrufbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20711 vom 04.12.2015