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Verfassungsreform: Neue Kompetenzverteilung – RV

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Übergangsgesetz vom 1. 10. 1920, idF des BGBl Nr 368 vom Jahre 1925, das Bundesverfassungsgesetz betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien, das Bundesforstegesetz 1996, das Datenschutzgesetz, das Bundesgesetzblattgesetz, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz und das Bundesgesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen geändert werden sollen

RV 17. 10. 2018, 301 BlgNR 26. GP

Gesetzwerdung bleibt abzuwarten

Das Vorhaben umfasst hauptsächlich folgende Maßnahmen:

1. Änderung der Kompetenzverteilung

Va durch Entflechtung des Kompetenztypus der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung (Art 12 B-VG) soll die Kompetenzverteilung nun va in folgenden Punkten neu geregelt werden:

1.1. Reine Landessache

In die Kompetenz der Länder zu Gesetzgebung (und Vollziehung) sollen va folgende Angelegenheiten überstellt werden:

-„Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG)
-„vom gesundheitlichen Standpunkt aus an Kurorte sowie Kuranstalten und Kureinrichtungen zu stellende Anforderungen“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG)
-„natürliche Heilvorkommen“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG)
-„Bodenreform, insb agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG)
-„Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG)
-Auch die (innere) Einrichtung des Amtes der Landesregierung soll nicht mehr durch Bundesverfassungsgesetz vorgegeben sein (Regelung nunmehr durch Landesgesetz und darauf basierender Geschäftseinteilung; § 2 BVG betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien).

1.2. Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes (Art 10 B-VG)

-Datenschutz: Die bisherige Einschränkung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auf den Schutz personenbezogener Daten im automationsunterstützten Datenverkehr soll entfallen, damit der Bund die DSGVO und die RL (EU) 2016/680 einheitlich und vollständig durchführen kann, also auch hinsichtlich manueller personenbezogener Dateisysteme. Die Übergangsvorschriften sehen dazu auch vor, dass die entsprechenden landesgesetzlichen Datenschutzvorschriften betr den nicht-automationsunterstützten Datenverkehr mit 1. 1. 2020 außer Kraft treten (Art 151 Abs 63 Z 6 B-VG).
Der neue Kompetenztatbestand in Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG betrifft „allgemeine Angelegenheiten des Schutzes personenbezogener Daten“. Die spezifischen datenschutzrechtlichen Regelungen sowohl in Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung als auch in Angelegenheiten der Landesgesetzgebung können auch weiterhin auf die Kompetenztatbestände der jeweiligen Materie gestützt werden (materienspezifischer Datenschutz als Annexmaterie). Auch die Dienst- und organisationsrechtliche Vorschriften im Bereich der Länder betr Datenschutzbeauftragte im öffentlichen Bereich sind von der Bundeskompetenz nicht umfasst, weil sich die entsprechenden Regelungen im DSG insb auf Art 10 Abs 1 Z 16 B-VG gründen.
In Art 102 Abs 2 B-VG soll weiters geregelt werden, dass das Datenschutzrecht vom Bund in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden kann. Keine Vollziehung des Datenschutzrechts stellt die bloße Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Länder und Gemeinden als Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter dar; eine gesonderten Regelung im DSG ist diesbezüglich nicht erforderlich.
Die vorliegende Novelle wird weiters zum Anlass genommen, das Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 DSG) neu zu formulieren und (wieder) im Verfassungsrang zu verankern.
-Die „außergerichtliche Vermittlung von Streitigkeiten“ soll in die Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung und Vollziehung gem Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG überstellt werden (Entfall des bisherigen Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG); zugleich soll der Inhalt des neuen Kompetenztatbestandes durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Angelegenheiten des Zivilrechtswesens und des Strafrechtswesens präzisiert werden.
Nicht unter den neuen Kompetenztatbestand soll jedoch die Organisation von öffentlichen Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten fallen (Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung nach den allgemeinen Grundsätzen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung; Organisation der Gemeindevermittlungsämter als Angelegenheit des Gemeinderechts iSd Art 115 Abs 2 B-VG in der Gesetzgebung Landessache).
-Bevölkerungspolitik (Entfall der Wortfolge „Bevölkerungspolitik, soweit sie nicht unter Art 10 fällt“ in Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG; bevölkerungspolitische Maßnahmen der Länder in Form der Privatwirtschaftsverwaltung bleiben weiterhin zulässig)

1.3. Sonderfall Arbeitsrecht

Betr „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“, soll die bisherige Kompetenz der Länder zur (Ausführungs-)Gesetzgebung entfallen (Entfall des Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG); dieser Teilbereich des Arbeitsrechts soll in Gesetzgebung Bundessache und in Vollziehung Landessache werden (neuer Art 11 Abs 1 Z 9 B-VG).

Weiters soll der Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG (Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache) ua folgendermaßen erweitert werden: „einschließlich des Arbeiterrechtes sowie des Arbeiter- und Angestelltenschutzes der Dienstnehmer in Sägen, Harzverarbeitungsstätten, Mühlen und Molkereien, die von land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben werden, sofern in diesen eine bundesgesetzlich zu bestimmende Anzahl von Dienstnehmern dauernd beschäftigt ist; für diese Dienstnehmer gelten die für die Dienstnehmer in gewerblichen Betrieben bestehenden Rechtsvorschriften“.

2. Zustimmungsrechte

2.1. Entfall von Zustimmungsrechten

Zur Reduktion der Zustimmungsrechte von Bund und Ländern zu Maßnahmen der gegenbeteiligten Gebietskörperschaft sollen va folgende Zustimmungsrechte der Bundesregierung entfallen:

-zu Landesgesetzen, durch die die Organisation der Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern geändert oder neu geregelt wird (Art 15 Abs 10 B-VG);
-zu Landesgesetzen, mit denen einer Gemeinde mit mindestens 20.000 Einwohnern ein eigenes Statut (Stadtrecht) verliehen wird (Art 116 Abs 3 B-VG);
-zur Bestellung des Landesamtsdirektors;
-zur Erlassung und Änderung der Geschäftseinteilung des Amtes der Landesregierung betreffend Geschäfte der mittelbaren Bundesverwaltung (§ 3 BVG betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien)

Ebenso sollen die Zustimmungsrechte der Bundesregierung und der Landesregierung zu Änderungen in den Sprengeln der politischen Bezirke (also in den Sprengeln der Bezirkshauptmannschaften) bzw in den Sprengeln der Bezirksgerichte entfallen (§ 8 Abs 5 des Übergangsgesetzes vom 1. 10. 1920 idF BGBl 1925/368).

2.2. Zustimmungsfiktion

Das Verfahren zur Erteilung der Zustimmung der Bundesregierung zum Gesetzesbeschluss eines Landtags (bisher Art 97 Abs 2 B-VG) soll nun in einer eigenen Bestimmung geregelt werden; dieser neue Art 98 B-VG orientiert sich an der korrespondierenden Bestimmung des Art 42a B-VG (Zustimmung der Länder zu einem Gesetzesbeschluss des Nationalrats) und enthält wie bisher auch eine Zustimmungsfiktion für den Fall, dass die Zustimmung nicht fristgerecht erteilt wird.

Eine vergleichbare Zustimmungsfiktion soll weiters hinsichtlich der Niederlassungsverordnung verankert werden: Gemäß § 13 Abs 6 NAG hat die Bundesregierung bei Erlassung der Niederlassungsverordnung auf die Aufnahmefähigkeit des inländischen Arbeitsmarkts und die Vorschläge der Länder Bedacht zu nehmen; eine zahlenmäßige Überschreitung eines solchen Vorschlags ist nur mit Zustimmung des betroffenen Landes zulässig. Eine Regelung für den Fall, dass sich ein Land verschweigt, fehlt bisher und soll daher nun angefügt werden. Danach gilt die Zustimmung als erteilt, wenn der Landeshauptmann nicht innerhalb von acht Wochen nach Einlangen des Verordnungsbeschlusses beim Amt der Landesregierung dem Bundesminister mitgeteilt hat, dass die Zustimmung verweigert wird.

3. Weitere Änderungen

3.1. Kundmachungen im RIS

Künftig sollen die Rechtsvorschriften aller Behörden im Rechtsinformationssystem des Bundes kundgemacht werden können (§ 6 BGBlG; Art 15 Abs 7 und Art 101a B-VG) – also etwa auch der Bezirksverwaltungsbehörden (in Angelegenheiten, die in Vollziehung Landessache sind), der Gemeinden, der Gemeindeverbände, der im Bereich der Vollziehung der Länder eingerichteten Selbstverwaltungskörper (etwa der Ärztekammern in den Bundesländern) oder der Verwaltungsgerichte (zB deren Geschäftsordnung) und die Satzungen der Sozialversicherungsträger.

3.2. Verwaltungsgerichte

Mit der Novelle soll weiters die Möglichkeit geschaffen werden, den Verwaltungsgerichten durch (einfaches) Gesetz weitere Aufgaben zuzuweisen (Art 130 Abs 2 und Art 136 Abs 3b B-VG):

Die Kompetenzen der Verwaltungsgerichte sind verfassungsgesetzlich abschließend geregelt. Die Zuweisung neuer Aufgaben bedarf daher einer verfassungsgesetzlichen Grundlage, die mit dem neuen Art 130 Abs 2 Z 4 B-VG geschaffen werden soll.

Das Verhältnis der neuen Generalklausel zu den bereits bestehenden möglichen Aufgaben der Verwaltungsgerichte ist eines von lex generalis zu leges speciales: Sofern eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte einer bereits bestehenden Kompetenz der Verwaltungsgerichte zugeordnet werden kann, geht diese der neuen Generalklausel vor.

In diesem Zusammenhang steht auch die vorgeschlagene Änderung des BG über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen (EEA-VStS-G): Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Validierung der Europäischen Ermittlungsanordnung kann sich auf die neue Generalklausel stützen, weshalb die besonderen verfassungsgesetzlichen Ermächtigungen entfallen können.

4. In-Kraft-Treten

Die Änderungen sollen mit dem Tag nach Kundmachung im BGBl, mit Ablauf des Monats der Kundmachung bzw mit 1. 1. 2020 in Kraft treten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26208 vom 22.10.2018