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Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss - Doppelverfolgungsverbot

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StVO: § 5, § 99

StGB: § 81, § 88

7. ZPMRK: Art 4

Verursacht ein Fahrzeuglenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall, bei dem eine Person schwer verletzt wird, so kommt grds neben einer Bestrafung nach § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO auch eine strafgerichtliche Verurteilung wegen (fahrlässiger) schwerer Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen in Betracht [§ 88 Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB idF vor BGBl I 2015/112]. Art 4 7. ZPMRK verbietet aber nicht nur eine doppelte Bestrafung, sondern auch die doppelte Verfolgung einer strafbaren Handlung (Doppelbestrafungs- bzw Doppelverfogungsverbot).

Geht im zuerst eingeleiten gerichtlichen Strafverfahren das Strafgericht - abweichend von dem erhobenen Anklagevorwurf - nicht davon aus, dass der Fahrzeuglenker die Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen aufgrund von Alkoholisierung begangen hat, so ist dies - auch ohne „formellen“ Freispruch - als Freispruch vom Aspekt der Alkoholisierung iSd Art 4 7. ZPMRK zu werten. Dem (rechtskräftigen) Urteil kommt somit (auch) im Hinblick auf die Alkoholisierung Sperrwirkung für das Verwaltungsstrafverfahren zu, weshalb eine Verfolgung nach § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO 1960 unzulässig ist.

VwGH 15. 4. 2016, Ra 2015/02/0226

Entscheidung

Nach Ansicht des VwGH ergibt sich aus der Rsp des EGMR deutlich, dass der Straftatbestand des § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO 1960 zwar nur einen der Gesichtspunkte nach § 81 Abs 1 Z 2 StGB widerspiegelt, es sich bei diesem Teil aber um den wesentlichen Gesichtspunkt („aspect“) dieses Straftatbestandes handelt (vgl EGMR 23. 10. 1995, 15963/90, Gradinger gegen Österreich, oder EGMR 29. 5. 2001, 37950/97, Franz Fischer gegen Österreich).

Weiters hält der VwGH fest, dass die strafrechtliche Anklage gem § 88 Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB die Fakten der Verwaltungsstraftat des § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO 1960 umfasst und auch nicht in Abrede gestellt werden kann, dass der Straftatbestand der Qualifikation nach § 88 Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO 1960 vollständig erschöpft. Somit wäre eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung bzw Verurteilung nach rechtskräftig beendetem Strafverfahren eine Verletzung des Art 4 7. ZPMRK und damit unzulässig.

Vor diesem Hintergrund hatte der VwGH zu klären, ob für die verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung auch in der konkreten Fallkonstellation eine Sperrwirkung iSv „ne bis in idem“ eingetreten ist: Gegen den Mitbeteiligten war nämlich Anklage gem § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB erhoben worden, eine Verurteilung erfolgte aber gem § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB. Wie bereits aus dem Leitsatz ersichtlich bejahte der VwGH eine solche Sperrwirkung:

Geht das Gericht abweichend von dem erhobenen Anklagevorwurf von der Erfüllung einer zusätzlichen Qualifikation nicht aus, kommt ein formeller Freispruch des Beschuldigten von der Qualifikation nicht in Frage (vgl RIS-Justiz RS 0120128; Lendl in Fuchs/Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung, Rz 1 zu § 259 StPO) und es geht daher auch das Argument ins Leere, dass hinsichtlich der Alkoholisierung kein Freispruch wegen „§ 88 Abs 3 iVm § 81 Abs 1 Z 2 StGB“ gefällt worden wäre. Die Subsumtion des Verhaltens unter § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB und nicht unter die Qualifikation nach § 88 Abs 4 zweiter Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB ist aber als Freispruch vom Aspekt der Alkoholisierung iSd Art 4 7. ZPMRK zu werten.

Da hier gegen das strafgerichtliche Urteil nach der Aktenlage kein Rechtsmittel erhoben wurde und die Möglichkeit der Erhebung eines ordentlichen Rechtsmittels nicht mehr besteht, liegt auch eine endgültige Entscheidung iSd Art 4 7. ZPMRK vor und dem Urteil kam somit (auch) im Hinblick auf die Alkoholisierung Sperrwirkung für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren zu. Eine Verfolgung nach § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO 1960 war hier daher unzulässig.

Hinweise:

§ 81 Abs 1 Z 2 StGB aF ist nun in § 81 Abs 2 StGB idgF BGBl I 2015/112 geregelt; statt „Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ heißt dieser Tatbestand nun „Grob fahrlässige Tötung“. § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB aF ist in geänderter Form in § 88 Abs 3 StGB idgF BGBl I 2015/154 (unverändert gegenüber BGBl I 2015/112) enthalten.

Vgl dazu auch VfGH 2. 7. 2009, B 559/08, LN Rechtsnews 7857 vom 22. 9. 2009: In jenem Fall war das gerichtliche Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen den alkoholisierten Unfalllenker eingestellt worden, weil die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurückgetreten war; das Gericht hatte die Alkoholisierung daher nicht zu prüfen (Verurteilung letztlich wegen Imstichlassens eines Verletzten). Die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Lenkens eines Fahrzeugs in alkoholisiertem Zustand verletzte daher nach Ansicht des VfGH nicht das Doppelverfolgungsverbot.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21742 vom 02.06.2016