News

VfGH: Asyl für chinesische (Trans-)Frau

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

Bundesverfassungsgesetz BGBl 1973/390: Art I Abs 1

EMRK: Art 3

Das BVwG ging zunächst von der Glaubhaftigkeit der Geschlechtsidentität der beschwerdeführenden Person aus und stellt auch fest, dass es sich bei ihr um eine (Trans-)Frau handelt.

Vor dem Hintergrund der in seinem Erkenntnis wiedergegebenen Länderfeststellungen zu LGBTIQ, sowie gestützt auf eine – nicht in der Entscheidung wiedergegebene, nicht im Akt enthaltene und auch nicht öffentlich zugängliche – ACCORD-Anfragebeantwortung zur Lage von LGBTIQ-Personen in China vom 30. 8. 2022 kommt das BVwG letztlich zu dem Ergebnis, dass bei der beschwerdeführenden Person keine "begründete Furcht vor Verfolgung" bestehe, weil bislang keine nachweislichen Verfolgungshandlungen gesetzt wurden und auch in Zukunft nicht zu erwarten seien; es lägen keine derart exzeptionellen Umstände vor, die eine Außerlandesschaffung der beschwerdeführenden Person im Hinblick auf die Gegebenheiten in der VR China gem Art 3 EMRK als unzulässig erscheinen ließen.

Damit verkennt das BVwG jedoch grob die Ergebnisse seines eigenen Ermittlungsverfahrens und deren Bedeutung für den Beschwerdefall:

So hat das BVwG selbst das Abhalten von rigiden Kontrollen und Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet festgestellt; auch würden die Behörden zahlreiche Personen aufgrund ihrer regierungskritischen Online-Posts und privaten Chat-Nachrichten sogar teilweise inhaftieren, jedenfalls jedoch verfolgen. Nach den Feststellungen des BVwG werden zudem öffentliche Veranstaltungen von LGBTIQ-Organisationen nicht erlaubt; Einzelpersonen und Organisationen, die sich für LGBTIQ-Angelegenheiten einsetzen, berichteten weiterhin über Diskriminierung und Belästigung durch die Behörden.

Aus diesen vom BVwG selbst getroffenen Feststellungen kann – vor dem Hintergrund des Vorbringens der beschwerdeführenden Person – gerade nicht gefolgert werden, dass die beschwerdeführende Person im Falle ihrer Rückkehr bloß Alltagsdiskriminierungen ausgesetzt sein werde und ein reales Risiko einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung für die Zukunft ausgeschlossen werden könne.

In diesem Zusammenhang ist zudem auf die Rsp des VfGH zu verweisen, wonach in Anknüpfung an Entscheidungen des EuGH nicht erwartet werden könne, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsland seine Homosexualität geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden. Diese zur Homosexualität ergangene Rsp ist im vorliegenden Fall auf eine Transgender-Person übertragbar.

Das BVwG hat somit bei seiner Entscheidung dadurch Willkür geübt, dass es im Beschwerdefall den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und sich mit wesentlichen Ermittlungsergebnissen nur unzureichend auseinandergesetzt hat bzw aus diesen Schlüsse gezogen hat, die mit den jeweiligen Ermittlungsergebnissen denkmöglich nicht vereinbar sind. Die beschwerdeführende Person ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (Art I Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 1973/390) verletzt worden.

VfGH 16. 9. 2024, E 1046/2024

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35969 vom 15.10.2024