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VfGH: Betriebsanlage – Parteistellung im vereinfachten Genehmigungsverfahren bei Spezialgenehmigung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

GewO 1994: § 359b

Wegen Bedenken betr den Gleichheitsgrundsatz wird die Verfassungsmäßigkeit des § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 (idgF BGBl I 2017/96) von Amts wegen geprüft:

Neben dem sog ordentlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren sieht § 359b GewO 1994 ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren vor, das durchzuführen ist, wenn dem Genehmigungsansuchen zufolge zumindest eine der Voraussetzungen des Abs 1 erfüllt ist. Nachbarn haben in diesem Verfahren grundsätzlich nur ein Anhörungsrecht; eine Parteistellung kommt ihnen nur hinsichtlich der Frage zu, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens vorliegen, dh ob zumindest einer der Tatbestände des Abs 1 erfüllt ist (§ 359b Abs 2 letzter Satz GewO 1994). Nachbarn dürften daher insb nicht berechtigt sein, in diesem Verfahren die Wahrung der Schutzgüter des § 74 Abs 2 GewO 1994 als subjektive Rechte zu relevieren.

Gem § 359b Abs 1 Z 4 GewO 1994 ist ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren durchzuführen, wenn "das Verfahren eine Spezialgenehmigung (§ 356e) betrifft". § 356e GewO 1994 kommt bei Betriebsanlagen zur Anwendung, die dem ordentlichen Genehmigungsverfahren unterliegen und verschiedenen Gewerbebetrieben zu dienen bestimmt sind (wie va bei Einkaufszentren, aber auch bei Gewerbe- oder Industrieparks, sog Gesamtanlagen). Hinsichtlich solcher Gesamtanlagen hat der Genehmigungswerber die Möglichkeit, für die gemeinsam genutzten Anlagenteile (wie zB Rolltreppen, Aufzüge oder Lüftungseinrichtungen) eine Generalgenehmigung zu beantragen, über die im ordentlichen Verfahren nach § 356 Abs 1 GewO 1994 – dh unter Beteiligung der Nachbarn als Verfahrensparteien – zu entscheiden ist. Darüber hinaus bedarf die Anlage eines Gewerbebetriebes in der Gesamtanlage einer gesonderten Genehmigung (Spezialgenehmigung) "sofern sie geeignet ist, die Schutzinteressen des § 74 Abs 2 zu berühren".

Nach der vorläufigen Ansicht des VfGH dürften die Anwendungsbereiche des vereinfachten und des ordentlichen Verfahrens damit in unsachlicher Weise abgegrenzt werden: Es erscheint dem VfGH vorläufig nicht einsichtig, dass die Nachbarn bei Genehmigung einer Betriebsanlage, die wegen ihrer potenziellen Auswirkungen auf die Schutzinteressen des § 74 Abs 2 GewO 1994 genehmigungspflichtig ist, grds Parteistellung haben – nicht jedoch, wenn sich diese Betriebsanlage in einer Gesamtanlage befindet. Diese vorläufig angenommene Unsachlichkeit dürfte auch nicht durch die Einzelfallprüfung (§ 359b Abs 3 GewO 1994) beseitigt werden können, die von der Behörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren bei Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit vorzunehmen ist. Zwar dürfte dadurch sichergestellt sein, dass eine Betriebsanlage auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren letztlich nur dann genehmigt werden darf, wenn nach den Umständen des Einzelfalles zu erwarten ist, dass die voraussehbaren Gefährdungen der Gesundheit der Nachbarn iSd § 74 Abs 2 Z 1 GewO 1994 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen iSd § 74 Abs 2 Z 2 bis 5 GewO 1994 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Diese Genehmigungsvoraussetzungen dürften aber nichts daran ändern, dass den Nachbarn in unsachlicher Weise die Möglichkeit genommen werden dürfte, ihre Schutzinteressen als Parteien des Verfahrens selbst zu artikulieren und wahrzunehmen.

VfGH 14. 3. 2023, E 1648/2022 (G 166/2023)

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33845 vom 31.03.2023