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VfGH: COVID-19 – Zweiter Lockdown für Ungeimpfte, „Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

COVID-19-MG: § 6

6. COVID-19-SchuMaV: § 6

§ 6 Abs 3 COVID-19-MG umschreibt Tatbestände, die das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs trotz Ausgangsregelung "jedenfalls" erlauben, darunter insb zur "Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens". Diese – im Kern verfassungsrechtlich gebotene – Ausnahme kann nicht auf geimpfte, getestete oder genesene Personen eingeschränkt werden (auch § 1 Abs 5b COVID-19-MG gestattet bloß personenbezogene Ausnahmen von Beschränkungen, jedoch keine Durchbrechungen der in § 6 Abs 3 leg cit garantierten Zwecke). Daraus folgt, dass auch Betriebsstätten zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ohne Einschränkung auf geimpfte, getestete oder genesene Personen betreten werden können müssen; andernfalls könnte der Verordnungsgeber den Regelungszweck des § 6 Abs 3 Z 3 COVID-19-MG durch Betretungsbeschränkungen nach § 3 leg cit unterlaufen. Regelungen über das Betreten der Kundenbereiche von Betriebsstätten (wie § 6 der 6. COVID-19-SchuMaV) müssen daher insb Kundenbereiche von Betriebsstätten, soweit sie zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens dienen, allgemein zugänglich lassen.

Der Tatbestand der notwendigen Grundbedürfnisse des "täglichen" Lebens (§ 6 Abs 3 Z 3 COVID-19-MG) kann nicht ohne Rücksicht auf die Dauer einer Ausgangsbeschränkung verstanden werden, die nach dem Konzept des Gesetzgebers grundsätzlich auf zehn Tage angelegt ist (§ 12 Abs 3 COVID-19-MG). Wenn der Verordnungsgeber durch die Aneinanderreihung solcher Verordnungen im Ergebnis eine wochen- oder gar monatelange Ausgangsbeschränkung anordnet, kommt der gesetzlich vorgesehenen Ausnahme der Grundbedürfnisse des "täglichen" Lebens jedoch eine andere Bedeutung zu als bei einer bloß auf wenige, höchstens zehn Tage angelegten Ausgangsregelung.

Der VfGH vermag dem Antragsteller weiteres nicht entgegenzutreten, wenn er im Lichte der (kumulierten) Dauer der angefochtenen Ausgangsregelung insb die Dienstleistungen der Friseure zu den (verfassungskonform verstandenen) Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zählt. Der VfGH ist nicht gehalten zu beurteilen, ob alle der vom Antragsteller ins Treffen geführten Güter und Dienstleistungen in diesem Sinn Grundbedürfnissen des täglichen Lebens dienen. Vielmehr reicht die Feststellung, dass § 6 Abs 1, 2 und 3 der 6. COVID-19-SchuMaV, wie exemplarisch am Beispiel der Friseure dargetan, der im Lichte des Zweckes der Regelung gebotenen Freistellung für Grundbedürfnisse des täglichen Lebens nicht (mehr) hinreichend Rechnung trägt. § 6 Abs 1, 2 und 3 der 6. COVID-19-SchuMaV widersprach daher § 3 iVm § 6 (Abs 3 Z 3) COVID-19-MG.

VfGH 30. 6. 2022, V 3/2022

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32880 vom 02.08.2022