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VfGH: Intersexualität – Prüfung des PStG 2013

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EMRK: Art 8

PStG 2013: § 2

Das PStG 2013 verpflichtet zur Angabe des Geschlechts sowohl bei der Eintragung der Personenstandsfälle in das ZPR als auch auf Personenstandsurkunden. Zwar konkretisiert das PStG 2013 das Personenstandsdatum „Geschlecht“ nicht näher, der VfGH geht aber vorläufig davon aus, dass die Regelungen des PStG 2013 vor dem Hintergrund der in der Rechtsordnung (auch) sonst vorherrschenden Kategorisierung in „weiblich“ und „männlich“ und einer sozialen Realität zu sehen sind, die (immer noch) überwiegend von einer binären Zuordnung in Menschen männlichen oder weiblichen Geschlechts ausgehen dürfte.

Intersexualität im hier zugrunde gelegten Sinn ist eine Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, die als solche anzuerkennen und insbesondere kein Ausdruck einer krankhaften Entwicklung ist. Der VfGH hegt nun das Bedenken, dass die starre Beschränkung auf einen binären Geschlechtseintrag Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung daran hindert, ihre selbstbestimmte Geschlechtsidentität adäquat zum Ausdruck zu bringen. Die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung fällt aber in den von Art 8 EMRK geschützten persönlichen Bereich und es könnte den Anforderungen des Art 8 Abs 2 EMRK an die Verhältnismäßigkeit nicht gerecht werden, dass in Österreich Vorkehrungen dafür fehlen, eine solche selbstbestimmte Zuordnung effektiv zu ermöglichen. Für die Beschränkung des Rechts auf selbstbestimmte Geschlechtsidentität (Art 8 EMRK) sieht der VfGH vorderhand auch keinen Rechtfertigungsgrund von entsprechendem Gewicht.

Der VfGH hat daher beschlossen, § 2 Abs 2 Z 3 PStG 2013 (in der geltenden Stammfassung) von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (nach § 2 Abs 2 Z 3 PStG 2013 gehört zu den „allgemeinen Personenstandsdaten (Daten zum Personenkern)“ das „Geschlecht“).

VfGH 14. 3. 2018, E 2918/2016

Entscheidung

In seinen Entscheidungsgründen stellt der VfGH ua klar, dass er es vorläufig nicht für unmöglich hält, den Anforderungen aus Art 8 Abs 1 EMRK „in einer die Funktion öffentlicher Personenstandsregister wahrenden Art und Weise“ Rechnung zu tragen. Entsprechende Änderungen im Personenstandsrecht können zwar auch Auswirkungen auf andere Bereiche der Rechtsordnung haben und dort Anpassungsbedarf auslösen. Diese Anpassungen dürften aber wohl keine derartigen Schwierigkeiten auslösen, dass sie die Interessen der betroffenen Menschen auf Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität überwiegen würden.

Außerdem hält der VfGH fest, dass der Begriff „Geschlecht“ in § 2 Abs 2 Z 3 PStG 2013 so offen ist, dass er sich auch inklusiv dahingehend verstehen lassen dürfte, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten widerspiegeln und miteinschließen könnte, sich dem PStG 2013 also implizit auch eine andere Geschlechtsbezeichnung als männlich oder weiblich entnehmen lassen könnte. Das PStG 2013 würde also entsprechenden Einträgen und Ausweisen nicht entgegenstehen.

Es wird im Gesetzesprüfungsverfahren daher auch zu prüfen sein, ob sich im Wege der Interpretation ein einheitlicher Ausdruck zur Bezeichnung einer solchen Geschlechtsvariation erschließen lässt. Dabei wird auch zu erörtern sein, dass die begriffliche Ausdrucksvielfalt für die Variationen von Geschlechtsidentität eine Fülle unterschiedlicher Bezeichnungsmöglichkeiten für eine entsprechende Option zur Angabe des Geschlechts eröffnen dürfte und sich weder auf einschlägiger fachlicher Ebene noch im allgemeinen Sprachgebrauch eine allgemein anerkannte bzw übliche Begrifflichkeit entwickelt haben dürfte.

Weiters wird zu klären sein, ob die Anerkennung und Berücksichtigung alternativer Geschlechtsidentitäten eine weitergehende gesetzliche Festlegung entsprechender, insb auch verfahrensmäßiger Vorkehrungen verlangen, oder ob Maßnahmen auf Vollzugsebene zur Erfüllung der grundrechtlichen Anforderungen ausreichen könnten.

Dabei wird auch zu prüfen sein, ob das PStG 2013 (insbesondere die Verfahrensvorschriften der §§ 36 und 40 ff PStG 2013) sich so vollziehen lässt, dass einer Person ermöglicht wird, insb bei mangelnder Selbstbestimmungsfähigkeit zunächst bzw vorübergehend oder auch dauerhaft kein Geschlecht anzugeben; ob also das PStG 2013 damit (ohnedies) Regelungen enthält, die es Personen im Kindes- wie im Erwachsenenalter gestatten, ihr Geschlecht aus legitimen Gründen nicht angeben zu müssen bzw die Entscheidung über den Geschlechtseintrag auch aufschieben zu können (so die Empfehlung der Bioethikkommission, 36). Schließlich wird – sollten die Bedenken zutreffen – zu prüfen sein, ob das PStG 2013 dem allfälligen weiblichen oder männlichen Geschlechtszugehörigkeitsempfinden von Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung im Einzelfall bei der Registrierung des Geschlechts hinreichend gerecht wird.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25137 vom 20.03.2018