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VfGH: Prüfungsbeschluss zur Beugehaft im VVG

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

B-VG: Art 18

EMRK: Art 5

PersFrSchG: Art 1, Art 6

VVG: § 5, § 6

Der VfGH hat beschlossen, von Amts wegen die Wortfolge "oder durch Haft" in § 5 Abs 1 VVG, BGBl 1991/53 (WV), die Zeichen und Wortfolge ", an Haft die Dauer von vier Wochen" in § 5 Abs 3 VVG, BGBl 1991/53 (WV) idF BGBl I 2001/137, und § 6 Abs 2 VVG, BGBl 1991/53 (WV), auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Der VfGH hegt gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des § 5 Abs 1 und 3 sowie des § 6 Abs 2 VVG das Bedenken, dass sie gegen Art 1 und 6 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. 11. 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) iVm Art 5 EMRK iVm dem Determinierungsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG verstoßen. Der VfGH geht vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des VVG, indem sie die Haft zum zulässigen Beugemittel erklären, in das durch Art 1 ff PersFrSchG und durch Art 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) eingreifen. Auch nimmt der VfGH vorläufig an, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des VVG jenen Bezugspunkt darstellen, anhand dessen zu prüfen ist, ob der Gesetzgeber im VVG den Anforderungen des Art 1 und 6 PersFrSchG iVm Art 18 B-VG an die Regelung der Beugehaft und an eine Haftprüfung im vorliegenden Zusammenhang ausreichend Rechnung trägt.

VfGH 26. 2. 2020, E 76/2019 (G 164/2020)

Entscheidung

Verfassungsrechtlich bedenklich erscheint dem VfGH zunächst, dass das VVG keine Höchstgrenze für die Gesamtdauer der Beugehaft vorgibt.

Für den Fall, dass das Gesetzesprüfungsverfahren ergibt, dass Art 1 Abs 3 PersFrSchG wegen des spezifischen Zweckes dieser Zwangsmaßnahme, zur Durchsetzung öffentlicher Interessen den zu einer unvertretbaren Handlung Verpflichteten zu eben dieser Handlung zu verhalten, grundsätzlich auch einer von ihrer Gesamtdauer nicht begrenzten Aneinanderreihung von Zwangsmaßnahmen der Beugehaft nicht entgegensteht, hegt der VfGH weiters das Bedenken, dass vor dem Hintergrund der (im Anlassverfahren vorliegenden) Konstellation, in der die Zwangsmaßnahme der Beugehaft eingesetzt wird, um fremdenrechtliche Mitwirkungspflichten rückkehrpflichtiger Fremder zu erzwingen, die in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus folgendem weiteren Grund gegen das in Art 1 Abs 3 PersFrSchG verankerte, auch den Gesetzgeber bindende Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen dürfte.

Vor diesem Hintergrund ist der VfGH der vorläufigen Auffassung, dass eine Aneinanderreihung des Zwangsmittels der Beugehaft mit der Folge ihres Vollzuges letztlich auf unbestimmte Dauer zur Durchsetzung etwa fremdenrechtlicher Mitwirkungspflichten rückkehrpflichtiger Fremder unverhältnismäßig sein und damit gegen Art 1 Abs 3 PersFrSchG verstoßen dürfte.

Der VfGH hegt schließlich auch das Bedenken, dass für die Beugehaft nach dem VVG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Haftprüfung nach Art 6 PersFrSchG nicht erfüllt sind.

Schließlich wird im Gesetzesprüfungsverfahren das Bedenken des VfGH zu prüfen sein, dass in Fällen länger andauernder Beugehaft der Gesetzgeber keine Möglichkeit vorgesehen haben dürfte, dass ein Gericht über die Zulässigkeit der Fortdauer der Haft abspricht, und die Haft auch keiner periodischen Überprüfung unterliegen dürfte (vgl demgegenüber bei der Schubhaft § 22a Abs 3 und 4 BFA-VG).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28794 vom 19.03.2020