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VfGH: Verbindliche Gemeindevolksabstimmungen (Vbg)

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

B-VG: Art 117, Art 118

Es bestehen zwar grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen verbindliche Gemeindevolksabstimmungen, denen eine Willensbildung des Gemeinderates zugrunde liegt – etwa indem der Gemeinderat die Volksabstimmung selbst eingeleitet hat oder diese für verbindlich erklärt. Die besondere Stellung des Gemeinderates schließt es jedoch jedenfalls aus, Art 117 Abs 8 B-VG so zu verstehen, dass eine Volksabstimmung den Gemeinderat auch gegen dessen Willen zur Erlassung von verbindlichen Rechtsakten (wie beispielsweise Verordnungen) und zur Unterlassung entgegenstehender Rechtsakte verpflichten könnte.

Diese Überlegungen sind generell auf Gemeindeorgane in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde zu übertragen: Im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde sind gem Art 118 Abs 5 B-VG letztlich alle Gemeindeorgane dem Gemeinderat verantwortlich, diesem gegenüber also weisungsgebunden. Die Verbindlichkeit einer Volksabstimmung für das jeweils zuständige Gemeindeorgan konkurriert mit der Bindung dieses Organs an Weisungen des Gemeinderates nach Art 118 Abs 5 B-VG. Daher hat Art 117 Abs 8 B-VG auch keine Grundlage dafür geschaffen, dass ein Gemeindeorgan gegen den Willen des Gemeinderates durch eine vom Gemeindevolk eingeleitete Volksabstimmung zur Erlassung eines verbindlichen Rechtsakts und zur Unterlassung entgegenstehender Rechtsakte verpflichtet werden könnte.

Der VfGH hat daher Bestimmungen des Vbg Gemeindegesetzes und des Vbg Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, und zwar jene, die festlegen, dass Volksabstimmungen mit bindender Wirkung auf Verlangen von Stimmberechtigten der Gemeinde auch ohne Zustimmung des Gemeinderates durchzuführen sind.

VfGH 6. 10. 2020, G 166/2020 ua

Zum Prüfungsbeschuss VfGH 27. 2. 2020, W III 2/2019 siehe Rechtsnews 28813.

Entscheidung

Mit Ablauf des 31. 12. 2021 als verfassungswidrig aufgehoben wurden eine Wortfolge in § 22 Abs 1 Vbg Gemeindegesetz (GG), LGBl 1985/40 idF LGBl 2012/44, sowie die §§ 58 bis 63 und § 64 Abs 1 lit c Vbg Landes-Volksabstimmungsgesetz, LGBl 1987/60 idF LGBl 2018/34.

Als gesetzwidrig aufgehoben hat der VfGH zudem das Verfahren (Anordnung und Durchführung) zur Ludescher Volksabstimmung "Widmung von Flächen im Neugut" vom 10. 11. 2019.

Nicht aufrecht erhalten hat der VfGH hingegen sein Verständnis von § 69 Abs 3 LVAG im Prüfungsbeschluss, nach dem die darin vorgesehene Bindungswirkung auch zur Folge habe, dass vom Ergebnis einer Volksabstimmung selbst durch einen neuerlichen Beschluss eines Gemeindeorgans wiederum nur nach Durchführung einer Volksabstimmung abgewichen werden könne.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29840 vom 28.10.2020