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VfGH: Verwaltungs- nach gerichtlichem Strafverfahren – Doppelbestrafung?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

EGVG: Art III

VG: § 3h

7. ZPEMRK: Art 4

Eine Aufeinanderfolge oder Parallelität von Verwaltungsstrafverfahren und gerichtlichem Strafverfahren kann mit Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK vereinbar sein, wenn es sich bei der Verfolgung (und Bestrafung) eines bestimmten Verhaltens nicht um eine Verdoppelung der Verfahren handelt, sondern die beiden Verfahren in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen, indem sie einander mit unterschiedlichen rechtlichen Reaktionen zu verschiedenen Zwecken ergänzen.

Für die Erfüllung des § 3h Verbotsgesetz („Auschwitzlüge“) bedarf es entsprechend der hohen Freiheitsstrafe einer erheblichen Untat: Es ist erforderlich, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten überhaupt in Abrede gestellt oder (nicht bloß in Randbereichen, sondern in ihrem Kern) gröblich verharmlost oder gar gutgeheißen oder gerechtfertigt werden, also die Verwerflichkeit der nationalsozialistischen Untaten in Frage gestellt wird.

In Art III Abs 1 Z 4 EGVG hingegen geht es um die Ahndung eines Verhaltens, das dadurch, dass es – wenngleich fälschlich – den Eindruck erweckt, es werde Wiederbetätigung iSd Verbotsgesetzes betrieben (dem aber tatsächlich der dahin gehende Vorsatz mangelt), objektiv als öffentliches Ärgernis erregender Unfug empfunden wird, der die öffentliche Ordnung durch die Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankenguts stört (VfSlg 12.002/1989). Auch reicht für seine Begehung Fahrlässigkeit.

Das Verwaltungsstrafverfahren nach Art III Abs 1 Z 4 EGVG und das strafgerichtliche Verfahren nach § 3h Verbotsgesetz verfolgen demnach unterschiedliche Zwecke mit verschiedenen Strafen (Geldstrafe und Freiheitsstrafe) – nämlich das Hintanhalten einer Ordnungsstörung einerseits und die Ahndung der „Auschwitzlüge“ als geschworenengerichtliches Delikt andererseits. Die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Art III Abs 1 Z 4 EGVG ist somit nach Rücktritt von der Anklage wegen § 3h Verbotsgesetz mit Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK vereinbar.

VfGH 11. 10. 2017, E 1698/2017

Ausgangslage

Der bf Rechtsanwalt hatte als Pflichtverteidiger in einem Plädoyer vor einem Geschworenengericht die Existenz von Gaskammern im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen bezweifelt.

Das deswegen gegen ihn nach dem Verbotsgesetz geführte Strafverfahren wurde nach dem Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Anklage eingestellt. Ein Verwaltungsstrafverfahren hingegen endete mit der Verhängung einer Geldstrafe.

In seiner Beschwerde an den VfGH machte der Rechtsanwalt einen Verstoß gegen das Verbot doppelter Strafverfolgung geltend.

Entscheidung

Der VfGH verneinte nicht nur einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot, sondern auch das Vorliegen von Willkür:

Willkür könnte dem Verwaltungsgericht ua dann vorgeworfen werden, wenn es den Bf aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

Das VwG geht im angefochtenen Erkenntnis denkmöglich davon aus, dass der Bf mit seiner Äußerung im Schlussplädoyer, es habe in Mauthausen keine Gaskammern gegeben, (fahrlässig) nationalsozialistisches Gedankengut iSd Art III Abs 1 Z 4 EGVG verbreitet hat. Dass im Strafverfahren als Begründung des Rücktritts von der Anklage festgehalten wurde, dass der Bf die Existenz von Konzentrationslagern und Gaskammern als historische Tatsache angesprochen und in keiner Weise bagatellisiert habe, steht dem nicht entgegen. Der Bf wurde sohin nach Ansicht des VfGH im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht verletzt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24403 vom 27.10.2017