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Wr BO: Gründerzeit-Gebäude – (Un-)Zulässigkeit des Abbruchs

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

Wr BO: § 60

§ 60 Abs 1 lit d Wr BO verlangt für die Zulässigkeit des Abbruchs eines vor dem 1. 1. 1945 errichteten Gebäudes, dass an der Erhaltung des Bauwerks infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder die technische oder wirtschaftliche Abbruchreife gegeben ist (hier vorerst nicht zu thematisieren).

Es ist dabei nicht auf das historische Erscheinungsbild abzustellen, sondern auf das aktuelle Erscheinungsbild im Zeitpunkt des Bewilligungsverfahrens nach § 60 Abs 1 lit d Wr BO. Wenn das Gebäude nach 1945 rechtmäßig eine Änderung erfahren hat, ist diese daher zu berücksichtigen und die Wirkung auf das örtliche Stadtbild unter Einbeziehung dieser Änderung zu beurteilen. Dadurch kann das Ausmaß der Veränderung berücksichtigt werden: Erfolgten solche Umgestaltungen in einer Weise, dass das Gebäude auf das örtliche Stadtbild keine schützenswerte Wirkung mehr entfaltet, ist der Abbruch zu bewilligen. Wurden die Änderungen jedoch in einer Weise durchgeführt, die dem Gebäude weiterhin ein öffentliches Interesse an seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild zukommen lässt, ist der Abbruch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu bewilligen.

Es ist nicht nur die unmittelbare Wirkung eines Gebäudes im örtlichen Stadtbild relevant, sondern auch dessen mittelbare Wirkung.

VwGH 13. 4. 2023, Ra 2021/05/0121

Entscheidung

Die Versagung der baubehördlichen Bewilligung für den beantragten Gesamtabbruch des Gebäudes begründete das VwG im Wesentlichen damit, dass die Wiederherstellung der kriegsgeschädigten Fassade im Jahr 1952 mit vereinfachter Fassadengestaltung baubehördlich bewilligt worden sei und das Gebäude noch heute diese vereinfachte Fassade aufweise. Auch wenn der baukulturelle Eigenwert des Gebäudes aufgrund der vereinfachten Fassadengestaltung nicht besonders hoch sei, sei es aber nach wie vor eindeutig als Teil einer gründerzeitlichen Gruppe zu erkennen; als Betonung und Rahmung des gründerzeitlichen Blocks komme dem Gebäude ein Stellenwert zu. Im Fall des Abbruchs des Bauwerkes würde der architektonische Abschluss des Ensembles fehlen. Der Bauzustand des Gebäudes sei nicht derart schlecht, dass eine Instandsetzung technisch unmöglich wäre oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden könnte.

Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gebäudes aufgrund seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild wurde vom VwG zu Recht bejaht. Die Revisionswerberin zeigt damit insoweit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

Mit ihrem weiteren Revisionsvorbringen, das VwG habe über einen Tatbestand abgesprochen, der nicht von ihr beantragt worden und somit nicht verfahrensgegenständlich gewesen sei, zeigt die Revisionswerberin jedoch eine Rechtswidrigkeit auf:

Die Behörde kann über ein Abbruchansuchen wegen Verneinung eines öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild entscheiden, ohne dass die Entscheidung von Einfluss auf ein Abbruchverfahren wegen seines Bauzustandes ist. Die drei Alternativen in § 60 Abs 1 lit d BO sind gleichrangig. Die Bestimmung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, von einem untrennbaren Verfahrensgegenstand auszugehen.

Die Revisionswerberin hat ihren Antrag - zulässigerweise - nur auf Abbruch mangels öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Bauwerkes gestützt. Die belangte Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass nur der erste Tatbestand des § 60 Abs 1 lit d BO Gegenstand des Verwaltungsverfahrens ist; darüber hat sie auch abgesprochen.

Eine technische oder wirtschaftliche Abbruchreife des Gebäudes hat die Revisionswerberin in keinem Verfahrensstadium vorgebracht und sich zu keiner Zeit auf diese Tatbestände des § 60 Abs 1 lit d BO gestützt. Sie wurden daher nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens. Das VwG hat verkannt, dass es mit einer Entscheidung über sämtliche Alternativen des § 60 Abs 1 lit d BO die durch den behördlichen Bescheid festgelegte Verwaltungssache überschreitet, was seine Entscheidung - bezogen auf den Umfang der Anfechtung - iSd § 42 Abs 2 Z 1 VwGG mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher aufzuheben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34069 vom 26.05.2023