Thema

Judikatur-Lexikon zum Abgasskandal 2.0

Mag. Wolfgang Kolmasch / Mag. Sabine Kriwanek

Zweiter Zwischenbericht zur aktuellen Rechtsprechung

Seit unserem ersten Judikaturüberblick in Zak 2023/683, 384 sind zahlreiche weitere OGH-Entscheidungen zum Abgasskandal ergangen. Der vorliegende Beitrag bringt den Überblick auf den aktuellen Stand.

Abschalteinrichtung

Eine Abschalteinrichtung ist ein System des Kfz, das anhand bestimmter Parameter auf das Abgasreinigungssystem Einfluss nimmt und dessen Wirksamkeit verringert. Gem Art 5 Abs 2 Typ-genehmigungs-VO 715/2007 sind Abschalteinrichtungen nur in drei Ausnahmefällen zulässig, nämlich

-zum Schutz des Motors (lit a),
-während des Anlassens des Motors (lit b) und
-bei Einbeziehung in die Emissionsprüfverfahren (lit c).

Die für den Abgasskandal relevante Ausnahme Motorschutz (lit a) setzt voraus, dass die Abschalteinrichtung zur Vermeidung konkreter Gefahren beim Fahrzeugbetrieb notwendig ist und im Zeitpunkt der Typgenehmigung keine alternative technische Lösung zur Verfügung stand.1 Dass durch die Abschalteinrichtung die Verschmutzung oder der Verschleiß des Motors verringert wird, genügt nicht.2 Jedenfalls unzulässig sind Systeme, bei denen nur bei Zulassungstest-Bedingungen eine volle Abgasreinigung erfolgt (Umschaltlogik),3 und Abschalteinrichtungen, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiv sind.4

Bei einer umgebungstemperaturabhängigen Abschalteinrichtung (Thermofenster) reicht es für die Unzulässigkeit nach der im Ergebnis übereinstimmenden Judikatur des OGH aus, wenn Letzteres nach den durchschnittlichen klimatischen Bedingungen in Österreich der Fall ist.5 Aufgrund dieser gerichtsnotorischen6 Klimaverhältnisse wurden Thermofenster, bei denen die Wirksamkeit der Abgasreinigung unter einer Umgebungstemperatur von 15 oder gar 17 °C reduziert wird, als unzulässige Abschalteinrichtungen qualifiziert. Dies betrifft etwa Dieselmotoren des Typs EA 189 (Thermofenster mit voller Abgasreinigung im Bereich zwischen 15 und 33 °C) und EA 897 (17 bis 33 °C).7

Besteht das Emissionskontrollsystem des Kfz aus mehreren Elementen, kann sich die Unzulässigkeit aus jedem einzelnen Element oder ihrem Zusammenspiel ergeben.8 Ob die Emissionsgrenzwerte im realen Straßenverkehr eingehalten werden, ist für die Beurteilung irrelevant.9

Der OGH zieht aus dem Regel-Ausnahme-Prinzip den Schluss, dass der Kläger im Gewährleistungs- oder Schadenersatzprozess nur beweisen muss, dass das Kfz über eine Abschalteinrichtung verfügt. Die Beweislast für ihre Zulässigkeit oder ihre wirksame Beseitigung durch ein Software-Update liegt beim Beklagten.10 In den bisher bekannten Fällen ist der Nachweis der Beseitigung stets gescheitert, weil mit den nach Bekanntwerden des Abgasskandals durchgeführten Software-Updates neue unzulässige Abschalteinrichtungen in Form von Thermofenstern eingeführt wurden, dh der Mangel bzw Schaden bestehen blieb.

Benützungsentgelt

Bei Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen ➜ Wandlung kann der Verkäufer ein angemessenes Benützungsentgelt für die Nutzung des Kfz bis zur Rückgabe als Gegenforderung geltend machen.11 Wenn der Käufer im Rahmen des ➜ Schadenersatzes den


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Kaufpreis ersetzt erhält, ist ein angemessenes Benützungsentgelt im Rahmen des Vorteilsausgleichs anzurechnen.12

In beiden Fällen ist das Benützungsentgelt nicht nach der "Händlereinkaufspreis-Methode", sondern durch lineare Abwertung zu bemessen (Kaufpreis mal gefahrene Kilometer dividiert durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung bzw - bei einem Gebrauchtwagen - durch die Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt).13 Ausgangspunkt ist der unverminderte Kaufpreis ohne Abzug für den ➜ Mangel.14 Maßgeblich ist nicht die Laufleistung, die aufgrund der konkreten Nutzung durch den Käufer insgesamt zu erwarten wäre, sondern die durchschnittliche Gesamtlaufleistung unter gewöhnlichen Umständen.15 Die lineare Methode ist auch bei wenig benützten Kfz heranzuziehen.16

Nimmt der Käufer den Fahrzeughersteller wegen ➜ Schutzgesetzverletzung auf Ersatz des Kaufpreises in Anspruch, sollte die Anrechnung des Benützungsentgelts nicht dazu führen, dass er nur einen unter dem Zeitwert liegenden Betrag ersetzt erhält. In diesem Fall ist das linear bemessene Benützungsentgelt angemessen zu korrigieren.17

Zieht der Kläger im Gewährleistungsprozess von sich aus einen Betrag als Benützungsentgelt von seinem Rückzahlungsbegehren ab, liegt darin eine außergerichtliche (unbedingte) Aufrechnungserklärung, die mit der Anerkennung des Anspruchs in der abgezogenen Höhe verbunden ist und ab dem Zugang nicht widerrufen, sondern nur noch wegen Willensmängeln angefochten werden kann.18

Gewährleistung

Maßgeblich ist das Gewährleistungsrecht vor dem Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (GRUG). Die neuen Gewährleistungsregeln19 sind nur auf ab 1. 1. 2022 abgeschlossene Verträge anwendbar.20

Ein Kfz mit einer unzulässigen ➜ Abschalteinrichtung weist einen ➜ Mangel auf. Der Fahrzeugkäufer hat einen Gewährleistungsanspruch gegen den Verkäufer. Er kann primär Verbesserung verlangen, aber unter den Voraussetzungen des § 932 Abs 4 ABGB aF auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe Preisminderung oder ➜ Wandlung umsteigen. Der Umstieg ist etwa möglich, wenn das zur Verbesserung angebotene oder durchgeführte Software-Update dazu nicht geeignet ist, weil es eine unzulässige ➜ Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters bestehen lässt oder neu einführt.21

Gewährleistungsausschluss

Bei einem Gebrauchtwagenkauf zwischen Privaten umfasst der im Kaufvertrag enthaltene umfassende Gewährleistungsausschluss mangels besonderer Vereinbarungen auch das Vorhandensein einer unzulässigen ➜ Abschalteinrichtung.22

Gewährleistungsfrist

Die Gewährleistungsfrist beträgt zwei Jahre (§ 933 Abs 1 ABGB aF).23 Da es sich beim ➜ Mangel um einen Sach- und keinen Rechtsmangel handelt, hat die Frist nicht mit Erkennbarkeit,24 sondern bereits mit Übergabe des Kfz zu laufen begonnen.25

Durch eine Verbesserungszusage oder einen Verbesserungsversuch des Fahrzeugverkäufers (idR mittels Software-Updates) wird die laufende Gewährleistungsfrist unterbrochen und beginnt in voller Länge neu zu laufen.26 Erfolgt die Verbesserungszusage bzw der Verbesserungsversuch durch ein Software-Update nach Ablauf der Gewährleistungsfrist, liegt darin ein Verzicht auf die Verjährungseinrede.27 Der Gewährleistungsanspruch kann daher bei Scheitern der Verbesserung weiterhin geltend gemacht werden.

Ein Software-Update, an dem der Fahrzeugverkäufer nicht beteiligt war, weil es vom Hersteller angeboten und in der Werkstatt eines Dritten durchgeführt wurde, kann nicht als verjährungsunterbrechendes Anerkenntnis qualifiziert werden.28

Irrtumsanfechtung

Abgasmanipulationen des Herstellers, an denen der Fahrzeugverkäufer unbeteiligt war und von denen er vor Vertragsabschluss keine Kenntnis hatte, können die Anfechtung des Kaufvertrags nach den §§ 870 ff ABGB nicht rechtfertigen (§ 875 ABGB).29

Ein gemeinsamer Irrtum mit dem Fahrzeugverkäufer darüber, dass das Fahrzeug die emissionsrechtlichen Vorgaben ohne unzulässige ➜ Abschalteinrichtung einhält, ermöglicht dem Käufer die Vertragsanfechtung gem §§ 871 f ABGB.30

In der späteren Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch ein Software-Update kann eine Klaglosstellung liegen, welche die Irrtumsanfechtung ausschließt.31 Vorausset-


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zung ist, dass mit dem Update nicht eine andere, ebenfalls unzulässige Abschalteinrichtung eingeführt wurde.32

Leasing

Der Anspruch gegen den Fahrzeugverkäufer auf ➜ Gewährleistung steht beim Finanzierungsleasing nicht dem Leasingnehmer, sondern dem Leasinggeber zu. Der Leasinggeber kann die Gewährleistungsansprüche aber an den Leasingnehmer abtreten, und zwar einschließlich des Rechts auf ➜ Wandlung und des daraus resultierenden Kondiktionsanspruchs. Aus der Zession des Wandlungsrechts folgt aber nicht automatisch, dass die Abtretung den Kondiktionsanspruch mitumfasst. Die Reichweite der Zession ist durch Auslegung zu ermitteln.33

Wenn der Leasingnehmer nach der umfassenden Abtretung aller Ansprüche die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangt, ist er für den Anspruch des Verkäufers auf ein ➜ Benützungsentgelt passiv legitimiert.34

Die Aktivlegitimation für den ➜ Schadenersatz hängt davon ab, ob der Leasinggeber oder der Leasingnehmer materiell betrachtet die Erstkäuferrolle innehatte. Nach der Rsp ist in Bezug auf den mit dem Ankauf entstandenen ➜ Schaden der Leasinggeber aktiv legitimiert, wenn er als Käufer aufgetreten oder der Kaufvertrag zwar vom Leasingnehmer geschlossen worden ist, aber nur der Spezifikation des Leasingfahrzeugs diente. Ohne Zession kann der Leasingnehmer den Anspruch nur dann geltend machen, wenn Kauf- und Leasingvertrag keine rechtliche oder wirtschaftliche Einheit bildeten, sondern unabhängig voneinander zustande gekommen sind.35

Die unionsrechtlichen Vorgaben für einen auf ➜ Schutzgesetzverletzung gestützten Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller stehen dem Einwand entgegen, dass beim Leasinggeber gar kein Schaden entstanden ist, weil er die dem Kaufpreis entsprechenden Leasingraten erhalten hat.36

List

Vorsätzliche Manipulationen, die dazu dienen, der Typgenehmigungsbehörde und dem Markt die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte vorzuspiegeln, können zu einer Haftung der beteiligten Unternehmen gegenüber Fahrzeugkäufern nach § 874 ABGB (listige Herbeiführung eines Vertragsabschlusses) oder § 1295 Abs 2 ABGB (sittenwidrige Schädigung) führen.37 Bedingter Vorsatz genügt.38 Der Ersatzanspruch kann nicht nur Neuwagen-, sondern auch Gebrauchtwagenkäufern zustehen.39 Der Anspruch gegen den Fahrzeughersteller wird wegen der geringeren Voraussetzungen idR auf ➜ Schutzgesetzverletzung gestützt. Die Berufung auf eine Vorsatztat ermöglicht aber die Inanspruchnahme anderer Beteiligter, wie des Motorenherstellers.40

Ein Minderwert als Schaden ist nach der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln.41 Die unionsrechtlich determinierte Ermittlung der ➜ Wertminderung gegenüber dem Fahrzeughersteller greift hier nicht.42 Das Risiko eines späteren Zulassungsentzugs fließt in die Schadensberechnung ein und kann keinen weiteren ersatzfähigen Schaden bilden.43

Der Fahrzeughersteller ist beim Fahrzeugverkauf kein Erfüllungsgehilfe des Kfz-Händlers. Daher hat der Händler nicht gem § 1313a ABGB schadenersatzrechtlich für Abgasmanipulationen des Herstellers einzustehen.44 Auch eine Zurechnung iSd § 875 ABGB kommt bei fehlender Kenntnis des Händlers nicht in Betracht, selbst wenn er Vertragshändler des Herstellers ist.45

Mangel

Dass das Abgasreinigungssystem eines Kfz keine unzulässige ➜ Abschalteinrichtung aufweist, ist eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft iSd § 922 Abs 1 ABGB.46 Bei besonderer Vereinbarung kann es sich auch um eine zugesicherte Eigenschaft handeln.

Die unzulässige Abschalteinrichtung ist ein Sachmangel.47 Ein Rechtsmangel liegt nicht vor, wenn - wie in allen bisher bekannt gewordenen Rechtssachen der Fall - im für die Gewährleistung maßgeblichen Übergabezeitpunkt die Zulassung des Fahrzeugs aufrecht war und die Aufhebung nicht konkret drohte. Die bloße Möglichkeit einer späteren Aufhebung begründet keinen Rechtsmangel.48

Rechtsirrtum

Ein nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum des Fahrzeugherstellers über die Zulässigkeit der ➜ Abschalteinrichtung schließt das für seine Haftung (➜ Schadenersatz) erforderliche Verschulden aus.49

Nicht vorwerfbar kann der Rechtsirrtum insb dann sein, wenn die tatsächliche Rechtslage nicht in zumutbarer Weise in Erfahrung gebracht werden konnte oder wenn der Hersteller auf die Typgenehmigung der demselben Irrtum unterliegenden Fahr-


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zeugbehörde vertraut hat und vertrauen durfte. Letzteres setzt allerdings die Offenlegung der konkreten Abschalteinrichtung gegenüber der Behörde vor ihrer Entscheidung voraus.50

Rechtsschutzversicherung

Ansprüche des Fahrzeugkäufers gegen den Hersteller auf ➜ Schadenersatz wegen des Abgasskandals sind zwar nicht vom Fahrzeug-Rechtsschutz bzw Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz umfasst, können aber grundsätzlich im Allgemeinen Schadenersatz-Rechtsschutz gedeckt sein.51 Der Versicherungsfall beginnt mit dem Fahrzeugkauf; die fehlgeschlagene Verbesserung durch ein Software-Update ist kein selbstständiger neuer Verstoß.52 Die Bekanntheit des Abgasskandals befreit den Versicherungsnehmer nicht davon, im Deckungsprozess das konkrete Schadenersatzbegehren darzustellen.53 Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten im Deckungsprozess ist kein strenger Maßstab anzulegen.54 Der Versicherungsnehmer muss aber bereits im Deckungsprozess beweisen, ob und wann er das Fahrzeug erworben hat.55

Dass der Versicherungsnehmer das Fahrzeug unter Eigentumsvorbehalt des Verkäufers erworben hat, ist für die Deckungspflicht unbeachtlich, ist doch die Frage der Aktivlegitimation eines Vorbehaltskäufers im Haftpflichtprozess gegen die Herstellerin als Rechtsfrage (über Einwand der Herstellerin) zu klären.56

Schaden

Die objektive Unsicherheit über die rechtliche Nutzungsmöglichkeit eines Kfz aufgrund des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründet einen Schaden des Fahrzeugkäufers, der wie in ➜ Schadenersatz dargestellt auszugleichen ist.57 Dieser Schaden entsteht unmittelbar mit dem Erwerb des Fahrzeugs.58 Dass die Typgenehmigung weiterhin aufrecht ist, ist unerheblich.59

Kein Schaden liegt vor, wenn der Zustand des Kfz mit der unzulässigen Abschalteinrichtung konkret dem Willen des Käufers entsprach, dh als vertragsgemäß vereinbart wurde.60 Dies ist vom Gegner zu behaupten und zu beweisen.61

Schadenersatz

Als Grundlagen für deliktische Ansprüche auf Ersatz des ➜ Schadens gegen den Fahrzeughersteller kommen ➜ Schutzgesetzverletzung und Vorsatztaten (➜ List, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) in Betracht.

Wenn der Fahrzeugkäufer seinen Anspruch auf Schutzgesetzverletzung stützt, hat er die Wahl zwischen zwei Ersatzbegehren:

-Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung eines ➜ Benützungsentgelts im Rahmen des Vorteilsausgleichs, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs;62
-Ersatz der ➜ Wertminderung.63

Nach einigen Entscheidungen setzt das erste Begehren voraus, dass der Hersteller kein geeignetes Angebot zur Beseitigung der unzulässigen ➜ Abschalteinrichtung gemacht hat bzw diese misslungen ist.64 Nicht mit Erfolg begehrt werden kann der Austausch des als Neuwagen gekauften Kfz gegen ein Neufahrzeug aus aktueller Produktion.65

Verzugszinsen stehen dem Fahrzeugkäufer erst ab zahlenmäßig bestimmter Fälligstellung des Schadenersatzes durch Mahnung, Klage oder Klagserweiterung zu.66

Schutzgesetzverletzung

Das Verbot von unzulässigen ➜ Abschalteinrichtungen durch Art 5 Abs 2 Typgenehmigungs-VO 715/2007 ist ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB zugunsten der Fahrzeugkäufer, unabhängig davon, ob es sich um einen Neu- oder Gebrauchtwagen handelt.67 Der ➜ Schaden steht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem Verstoß gegen dieses Verbot.68 Nicht vom Schutzzweck erfasst sind auf die Abschalteinrichtung bzw ein Software-Update zurückzuführende Reparatur- und Wartungskosten.69

Das Verbot richtet sich an jene Person, die im Typgenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat.70 Aus Schutzgesetzverletzung kann daher nur der Fahrzeughersteller auf ➜ Schadenersatz in Anspruch genommen werden.71 Eine Haftung des Motorenherstellers kann sich bei Vorsatz aus ➜ List oder sittenwidriger Schädigung ergeben.72

Der Fahrzeughersteller haftet dem Käufer aufgrund der Schutzgesetzverletzung schon bei leichter Fahrlässigkeit deliktisch für den Schaden.73 Gem § 1298 ABGB trifft ihn die Beweis-


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last für fehlendes Verschulden.74 Das Verschulden kann durch einen ➜ Rechtsirrtum ausgeschlossen sein.75

Verjährung

Wenn der Fahrzeughersteller dem Fahrzeugkäufer durch ein Software-Update den Eindruck vermittelt hat, dass die ➜ Abschalteinrichtung beseitigt wurde, läuft die kurze kenntnisabhängige Verjährungsfrist für den ➜ Schadenersatz erst ab dem Zeitpunkt, in welchem dem Käufer bekannt wurde, dass weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist.76 Hat der Käufer das Update nicht zugelassen, bleibt verjährungsrechtlich der Zeitpunkt der ersten Kenntnis maßgeblich.77

Die Beteiligung des österreichischen Käufers am Musterfeststellungsverfahren, das in Deutschland vom VZBV (Verbraucherzentrale Bundesverband) gegen den Fahrzeughersteller geführt worden ist, hatte verjährungsunterbrechende Wirkung, sofern die Schadenersatzklage in Österreich in angemessener Frist nach dem Zeitpunkt, in dem der Käufer von der Zurückziehung der Musterfeststellungsklage Kenntnis erlangte, eingebracht worden ist.78

Wandlung

Bei einer unzulässigen ➜ Abschalteinrichtung handelt es sich um keinen geringfügigen Mangel, bei dem eine Wandlung ausgeschlossen und der Käufer bei den sekundären Gewährleistungsbehelfen auf Preisminderung beschränkt wäre. 79

Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach Wandlung des Kaufvertrags kann der Käufer neben der Rückzahlung des Kaufpreises die gesetzlichen Zinsen als Vergütungszinsen für die Nutzung des Kaufpreises im Zeitraum zwischen der Zahlung und der Rückzahlung (bzw der Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs gegen eine Gegenforderung) verlangen.80 Dem Verkäufer steht als Gegenforderung ein ➜ Benützungsentgelt zu.81

Wertminderung

Als ➜ Schadenersatz kann der Käufer vom Fahrzeughersteller alternativ zur Naturalrestitution (Ersatz des Kaufpreises) den Ersatz der Wertminderung durch die unzulässige ➜ Abschalteinrichtung verlangen.82

Das Gericht kann den Ersatzanspruch grundsätzlich gem § 273 Abs 1 ZPO ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nach freier Überzeugung in einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des Kaufpreises bemessen.83 Alternativ kann der (auch höhere) Minderwert exakt festgestellt und als Schadenersatz zugesprochen werden.84 Zu einer Vorteilsanrechnung für die Nutzung kommt es hier nicht.85

Der OGH leitet aus der EuGH-Rsp ab, dass der Ersatz unionsrechtlich determiniert ist und dem Käufer in einem Mindestmaß selbst dann zusteht, wenn kein Schaden nachweisbar ist. Dass kein merkantiler Minderwert durch den Abgasskandal feststellbar ist86 oder das Kfz mittlerweile ohne Auswirkungen auf den Wiederverkaufspreis weiterveräußert wurde,87 schließt den Ersatzanspruch daher nicht aus, spricht aber für die Bemessung am unteren Ende der Bandbreite.88 Die Feststellung, dass der Käufer das Kfz auch in Kenntnis der Abschalteinrichtung erworben hätte und es nach Bekanntwerden behalten und uneingeschränkt verwendet hat, spricht gegen die Ausschöpfung der Bandbreite nach oben.89

Wenn nicht der Fahrzeughersteller, sondern gestützt auf ➜ List oder sittenwidrige Schädigung eine andere Person (zB der Motorenhersteller) in Anspruch genommen wird, gelten diese besonderen Regeln für die Schadensbemessung nicht.90

Wenn sich der Käufer für Schadenersatz in Form der Wertminderung entscheidet, bildet ein späterer Zulassungsentzug keinen weiteren ersatzfähigen Schaden, weil dieses Risiko bereits im Wertersatz inkludiert ist.91

1

EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen = Zak 2022/433, 234. Beachte dazu 10 Ob 31/23s = Zak 2024/60, 37: "SCR-Systeme" zur Abgasnachbehandlung.


2

EuGH C-693/18 = Zak 2021/3, 4; EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen = Zak 2022/433, 234.



4

EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen = Zak 2022/433, 234.





8

10 Ob 55/23w = Zak 2024/427, 238. Siehe auch 3 Ob 33/23h = Zak 2023/543, 303 (mittlerweile zurückgezogenes Vorabentscheidungsersuchen zum Motortyp EA 288).







14

Zum Schadenersatz: 1 Ob 34/24t = Zak 2024/390, 217.











24

Dazu 8 Ob 113/21g = ecolex 2022/183.























46

EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen = Zak 2022/433, 234; 3 Ob 148/22v = Zak 2023/122, 77.







52

7 Ob 32/18h = RdW 2018/541.









































Artikel-Nr.
Zak 2024/441

12.08.2024
Heft 13/2024
Autor/in
Wolfgang Kolmasch

Mag. Wolfgang Kolmasch ist in der juristischen Fachredaktion von LexisNexis für Zivilrecht zuständig, Chefredakteur der Fachzeitschrift Zak („Zivilrecht aktuell“) und veröffentlicht regelmäßig Bücher und Zeitschriftenartikel zu zivilrechtlichen Themen. Ua ist er an zwei ABGB-Kommentaren beteiligt sowie Autor des Standardwerks „Unterhaltsrecht“ und des „Jahrbuch Zivilrecht“.

Sabine Kriwanek

Mag. Sabine Kriwanek ist seit 2002 in der juristischen Fachredaktion von LexisNexis tätig und für die Bereiche Wirtschaftsrecht, öffentliches Recht und Strafrecht zuständig.