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Durch die Zivilverfahrensnovelle 2021 (ZVN 2021)1 - die am 1. 1. 2022 in Kraft treten soll - sollen vor allem die Digitalisierung und die Modernisierung in der Justiz vorangetrieben werden. Dies soll etwa durch die vermehrte digitale Aktenführung und die Einführung einer Bestimmung in die ZPO erreicht werden, dass Tagsatzungen in Zukunft - unabhängig von den geltenden COVID-Sonderregelungen2 - im Wege von Videokonferenzen abgehalten werden können.3 Eines der weiteren Ziele der ZVN 2021 ist die Förderung von Vergleichsabschlüssen im Frühstadium eines Verfahrens durch eine Vergünstigung der Gerichtsgebühren nach dem Gerichtsgebührengesetz (GGG). Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuelle Rechtslage sowie einen Ausblick darauf, ob die im Zuge der ZVN 2021 geplanten Änderungen des GGG geeignet sind, die bestehenden Unklarheiten zu beseitigen.
Durch die GGG-Novelle BGBl I 2019/81 wurde Anm 2 zu TP 1 des GGG eingeführt. Demnach ermäßigt sich die in Zivilprozessen nach TP 1 zu entrichtende Pauschalgebühr ua dann um die Hälfte, "wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird". Hintergrund dieser Ergänzung war, dass in einem solchen Fall der Aufwand und das Ergebnis einem prätorischen Vergleich - der nach Anm 2 zu TP 1 ebenso begünstigt ist - gleichzuhalten und auch der Aufwand durch das Gericht durch die halbe Pauschalgebühr abgedeckt sei.4 Es sollte zudem ein Anreiz für die Parteien sein, die Rechtssache schnell zu erledigen.5 Anwendbar ist diese Bestimmung auf alle gerichtlichen Vergleiche, die ab 1. 8. 2020 abgeschlossen wurden.6
Die gewählte Formulierung brachte einige Unklarheiten mit sich: Was ist mit der "ersten Verhandlung" gemeint? Sind auch bedingt abgeschlossene Vergleiche umfasst, bei denen die Rechtswirksamkeit des Vergleichs nicht in der ersten Verhandlung eintritt? Soll diese Regelung auch in bereits eingeleiteten Verfahren zur Anwendung gelangen, in denen der Vergleich außergerichtlich vor der ersten Verhandlung abgeschlossen und das Verfahren in weiterer Folge - wiederum vor oder in der ersten Verhandlung - durch Klagsrücknahme oder die Vereinbarung ewigen Ruhens beendet wird?
§ 193 Abs 2 ZPO bestimmt, dass die Verhandlung bis zur Verkündung ihres Schlusses als Ganzes anzusehen ist. Eine Verhandlung kann daher - wie dies auch den Normalfall darstellt - mehrere Tagsatzungen erfordern.7 Da ein Vergleich aber offensichtlich nicht während der gesamten Verhandlung begünstigt sein soll, ist damit jedenfalls die vorbereitende Tagsatzung gemeint.8
In der Praxis werden häufig bedingte Vergleiche geschlossen, die nur wirksam werden, wenn sie nicht binnen einer von den Parteien gesetzten Frist widerrufen werden - daher erst nach dem ersten Verhandlungstermin.9 Die Gründe dafür sind vor allem, dass
- | Parteien genauer über die Parameter eines Vergleichs nachdenken möchten, |
- | allenfalls alleine anwesende Rechtsvertreter noch Rücksprache mit den eigenen Mandanten halten müssen oder |
- | die Zustimmung der finanzierenden Rechtsschutzversicherung erforderlich ist. |
Hier besteht der Konsens, dass trotz der wiederum nicht sauberen Formulierung ("wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird") auch bedingte Vergleiche von der Begünstigung erfasst sein sollen, weil das Telos der Bestimmung darauf abzielt, ob der in der vorbereitenden Tagsatzung abgeschlossene Vergleich schlussendlich rechtswirksam wird.10
Vom Wortlaut "wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird" nicht umfasst sind Fälle, in denen bei bereits anhängigen Verfahren außergerichtliche Vergleiche geschlossen und die Verfahren - hier relevant vor oder in der ersten Tagsatzung - durch Klagsrücknahme nach § 237 ZPO beendet oder durch Anzeige nach § 168 ZPO (ewig) ruhend gestellt werden. Vielfach wurde in der Praxis dennoch argumentiert, dass Anm 2 zu TP 1 den Zweck verfolge, den Parteien durch Abschluss eines frühen Vergleichs einen finanziellen Anreiz zu bieten und den Gerichten damit Arbeit zu ersparen. Die Halbierung der Gerichtsgebühren müsse daher auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die Durchführung einer Tagsatzung - sei es aufgrund einer Klagsrücknahme oder einer Ruhensanzeige - unterbleiben könne. Es liege eine Gesetzeslücke vor.
Diesem Argument erteilte das BVwG in einer Vielzahl von Entscheidungen mittlerweile eine klare Absage und sprach aus, dass weder eine Klagsrücknahme noch eine Ruhensanzeige vor der ersten Tagsatzung unter die Begünstigung nach Anm 2 zu TP 1 fallen. Es sei nicht die Intention, jede Form der vorzeitigen Verfahrensbeendigung vor der ersten Tagsatzung zu privilegieren. Dies sei auch nicht vom Gesetzeswortlaut gedeckt, eine Lücke liege nicht vor.11 Selbiges gilt auch für im ersten Verhandlungstermin antragsgemäß gefällte Anerkenntnisurteile.12
Mit der ZVN 2021 soll Anm 2 zu TP 1 gestrichen und eine Neuformulierung in Anm 4 zu TP 1 eingeführt werden. Demnach ermäßigt sich die Pauschalgebühr auf die Hälfte, wenn "die Klage nach Zustellung, aber noch vor oder in der ersten Verhandlung zurückgezogen wird, oder die Rechtssache in dieser ersten Verhandlung verglichen wird und dieser Vergleich rechtswirksam wird".
Diese Neufassung konkretisiert bzw regelt einige, aber nicht alle der unter Pkt 1 erwähnten Unklarheiten. Nicht korrigiert wurde etwa die sprachliche Unschärfe des Worts "Verhandlung", obwohl im Zuge des Begutachtungsprozesses nochmals darauf aufmerksam gemacht und die Verwendung des Begriffs "Tagsatzung" empfohlen wurde.13
Die Neufassung der Gerichtsgebührenprivilegierung bestätigt nunmehr ausdrücklich, dass auch in der ersten Tagsatzung abgeschlossene bedingte Vergleiche, die erst später rechtswirksam werden, zur Rückerstattung der halben Pauschalgebühr berechtigen. Diese Klarstellung wurde auch von der Praxis begrüßt.14
Ergänzt wurde nun, dass - entgegen der bisherigen Rechtslage - die Ermäßigungsvorschrift nach Anm 4 zu TP 1 ab 1. 1. 2022 auch für solche Fälle gelten soll, in denen die Klage (etwa aufgrund eines getroffenen außergerichtlichen Vergleichs) nach Klagszustellung, aber noch vor oder in der ersten Tagsatzung gem § 237 ZPO zurückgezogen wird. Unverändert bleibt die Regelung, dass sich die Pauschalgebühr bei Klagsrücknahme vor Zustellung an den Beklagten auf ein Viertel reduziert.15
Nach dem Wortlaut weiterhin nicht umfasst sind gerichtsanhängige Verfahren, die vor oder in der ersten Tagsatzung (ewig) ruhend gestellt werden. Da auch die Erläuterungen zum Ministerialentwurf dazu schweigen,16 sind solche Vorgänge weiterhin nicht privilegiert. Hintergrund dafür könnte sein, dass das von Parteien vereinbarte Ruhen nicht zu einem Wegfall der Gerichts- oder Streitanhängigkeit führt, nach Ablauf der dreimonatigen Ruhensfrist ein Fortsetzungsantrag gestellt werden kann und daher - im Gegensatz zur Klagsrücknahme oder einem rechtswirksam gewordenen Vergleich - keine streiterledigende Wirkung für das Gericht eintritt. Dies gilt sowohl hinsichtlich eines "einfachen" als auch eines "ewigen" Ruhens des Verfahrens.17
Um Gerichtsgebühren zu vermeiden, sollte daher in der Praxis ein (allenfalls bereits außergerichtlich abgestimmter) Vergleich entweder in der vorbereitenden Tagsatzung geschlossen oder das Verfahren durch Klagsrücknahme rechtzeitig beendet werden. Eine außergerichtliche Einigung samt Ruhensanzeige sollte - ebenso wie der weiterhin nicht umfasste Fall eines in der vorbereitenden Tagsatzung erlassenen Anerkenntnisurteils - vermieden werden.
Neu eingeführt wird Anm 7 zu TP 3, wonach die (neuen) Anm 3 und 4 zu TP 1 auch für Klagen vor dem OGH, die auf Aufhebung eines Schiedsspruchs gerichtet sind, gelten sollen. Dies bedeutet, dass auch in solchen Verfahren nach § 615 ZPO die Privilegierung der Gerichtsgebühren auf ein Viertel (Anm 3 zu TP 1) bzw die Hälfte (Anm 4 zu TP 1) zur Anwendung gelangt.18
Zudem soll eine Regelung eingeführt werden, nach der es gebührenrechtlich keinen Unterschied macht, ob Ansprüche, die nicht Gegenstand eines anhängigen Prozesses sind, in diesem Verfahren mitverglichen oder aber in Form einen prätorischen Vergleichs bereinigt werden. Übersteigt daher die grundsätzlich gem § 18 Abs 2 Z 2 Satz 1 GGG ermittelte Ergänzungsgebühr jenen Pauschalbetrag, der bei Abschluss eines prätorischen Vergleichs über die nicht verfahrensgegenständlichen Ansprüche zu leisten wäre, ist die Ergänzungsgebühr auf diesen niedrigeren Betrag zu reduzieren und es soll daher auch bei einem solchen "Mitvergleichen" nur die halbe Pauschalgebühr anfallen.19
Der VwGH judiziert in mittlerweile ständiger Rsp, dass auch Vergleiche über unstrittige, bereits bestehende Verpflichtungen zu einer Neubewertung und somit zu einer Erhöhung des Streitwerts führen. Der VfGH nahm im Gegensatz dazu keine Streitwerterhöhung an.20 Um diese Judikaturdivergenz künftig zu vermeiden, soll nach dem neuen § 18 Abs 2 Z 2 GGG eine bestehende Verpflichtung, die im Rahmen eines Vergleichs neuerlich oder nur nebenher erwähnt wird, nicht zu einer Streitwerterhöhung führen.21
Insgesamt sind die im Zusammenhang mit Vergleichsabschlüssen getroffenen Neuregelungen und Konkretisierungen des GGG sehr zu begrüßen. Sie schaffen in wesentlichen Punkten Klarheit und bringen ergänzende Regelungen mit sich, die eine Herabsetzung der Gerichtsgebühren und eine damit einhergehende vergünstigte Verfahrensführung bewirken. Es wird sich zeigen, ob es dadurch in der Praxis tatsächlich zu einem Anstieg an frühzeitigen Vergleichen kommen wird.
ME Zivilverfahrens-Novelle 2021 - ZVN 2021, 138/ME 27. GP; alle Informationen abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00138/index.shtml (zuletzt abgerufen am 16. 11. 2021).
§ 3 des 1. COVID-19-JuBG (derzeit beschränkt bis 31. 12. 2021).
Für eine Übersicht der Schwerpunkte siehe Fucik, Neue Gesetzesprojekte des Justizministeriums, ÖJZ 2021, 713.
Der entsprechende Initiativantrag des Abgeordneten Dr. Alfred Noll sowie weitere Informationen und Dokumente zu diesem Thema sind abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/A/A_00080/index.shtml (zuletzt abgerufen am 16. 11. 2021).
Halbierung der Gerichtsgebühren bei sofortigem Vergleich, AnwBl 2019, 528.
Fucik, Gerichtsgebührenreduktion bei Vergleich im Frühstadium, ÖJZ 2019, 857; Seeber-Grimm/Seeber/Offenbacher, Der Vergleich im Zivilprozess - eine gebühren- und kostenrechtliche Betrachtung, ÖJZ 2020, 857 (861).
Höllwerth in Fasching/Konecny II/33 § 193 ZPO Rz 17.
Siehe auch Fucik, ÖJZ 2019, 857.
Majoros in Gruber-Risak/Mazal, Das Arbeitsrecht - System und Praxiskommentar (36. Lfg, 2020), Die Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, Rz 37d; Fucik, ÖJZ 2019, 857; Seeber-Grimm/Seeber/Offenbacher, ÖJZ 2020, 857 (861).
Zur Klagsrücknahme siehe etwa BVwG L521 2231218-1; BVwG W101 2231911-1. Zum Ruhen siehe etwa BVwG G314 2240727-1; BVwG W108 2227155-1.
Siehe etwa Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes zur ZVN 2021 vom 2. 9. 2021, S 5, abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PtWeb/api/s3serv/file/ac0ab453-c0f9-4eba-a804-0e2cdab53c1a (zuletzt abgerufen am 16. 11. 2021).
Stellungnahme des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages zur ZVN 2021 vom 30. 8. 2021, S 10, abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PtWeb/api/s3serv/file/d7aa574e-708f-453d-9e9d-14a69b1a081e (zuletzt abgerufen am 16. 11. 2021).
Anm 3 zu TP 1.
138/ME 27. GP Erläut 24.
RIS-Justiz RS0081556; RIS-Justiz RS0036976 [T1, T2]; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, Kommentar zur ZPO5 (2019) §§ 168-170 ZPO Rz 1 und 5; vgl auch BVwG W108 2227155-1.
138/ME 27. GP Erläut 24.
§ 18 Abs 2 Z 2 S 2 (neu eingeführt); 138/ME 27. GP Erläut 23.
Siehe die zitierte Rechtsprechung bei Dokalik, Gerichtsgebühren13 (2021) § 18 E 41 ff und E 79 f.
138/ME 27. GP Erläut 23.