Editorial

MiCAR ante portas - der neue große Wurf?

Bearbeiter: Nicolas Raschauer

Nun ist sie also da, die VO über Märkte für Kryptowerte (MiCAR). Sie wurde kürzlich im ABl der EU veröffentlicht.1 Die VO legt Regeln für die Ausgabe verschiedener Arten von Kryptowerten und für Dienstleistungen fest, die von Krypto Asset Service Providern (CASPs) erbracht werden. MiCAR ergänzt die spezifischen Sektoralregelungen des Finanzmarktrechts und schafft in Kombination mit diesen - endlich - ein EU-weit harmonisiertes Marktordnungsrecht für die zuvor angesprochenen Tätigkeiten. Positiv ist, dass die VO strukturell ähnlich wie MiFID II aufgebaut ist, was die Auslegung des Regelungswerks prima vista vereinfachen sollte.

Am 29. 6. 2023 tritt MiCAR in Kraft und gilt 12 bzw 18 Monate nach Inkrafttreten (Art 149 MiCAR). Sie kommt zur rechten Zeit; die Bemühungen des EU-Gesetzgebers, einen Standortvorteil für EU-Kryptodienstleister zu schaffen, ist anzuerkennen - weder die USA noch die asiatischen Staaten verfügen derzeit über einen vergleichbaren Regelungsrahmen.2

MiCAR gilt für die zentrale Emission bestimmter Kryptowerte, nämlich ARTs (vermögenswertbezogene Token), also Token, deren Wert an einen Korb anderer Vermögenswerte gekoppelt ist, E-Geld-Token (EMTs), deren Wert an eine einzelne Fiat-Währung gekoppelt ist, und für eine dritte Kategorie, der alle Kryptowerte unterfallen, die weder ARTs noch EMTs sind, also etwa Utility Token, die den digitalen Zugang zu einer Ware oder Dienstleistung des Emittenten eröffnen (vgl Art 5 ff, Art 16 ff, Art 48 ff MiCAR). Parallel dazu enthält MiCAR ein "verschlanktes" Marktmissbrauchsregime und versucht, Insiderhandel und Marktmissbrauch mit diesen Assets zu unterbinden (Art 86 ff MiCAR). Dezentral emittierte Token (wie zB Bitcoin), bei denen es keinen zentral identifizierbaren Emittenten gibt, werden von MiCAR nicht erfasst (ErwGr 22 MiCAR). Hingegen fallen CASPs, die Dienstleistungen für solche Kryptowerte erbringen, unter MiCAR.

Emittenten von Kryptowerten müssen ein White Paper über den ausgegebenen Token veröffentlichen, bevor dieser der Öffentlichkeit angeboten wird (vgl im Detail Anhang I-III der VO); Emittenten von ARTs, die keine Kreditinstitute sind, benötigen zudem eine Zulassung der Herkunftsstaatsbehörde. Das White Paper muss von einer juristischen Person verfasst und vorab der zuständigen Behörde vorgelegt werden. Das Dokument muss ua Informationen über den Anbieter und den Emittenten, das zugrunde liegende Projekt und seine Risiken enthalten (vgl zB Art 15 und Art 52 MiCAR zur Informationshaftung des Anbieters).

MiCAR reguliert außerdem bestimmte Krypto-Dienstleistungen wie die Verwahrung und Verwaltung von Krypto Assets, den Betrieb von Handelsplattformen oder Beratung und Portfolio-Management in Bezug auf Kryptowerte (Art 59 ff MiCAR). CASPs unterliegen der Zulassungspflicht und haben bestimmte Wohlverhaltensregeln einzuhalten (Art 62 ff, Art 66 ff MiCAR). Banken, Wertpapierfirmen und andere Dienstleister können Krypto-Dienstleistungen nach rechtzeitiger Anzeige grds ohne weitere Bewilligung erbringen (Art 60 MiCAR).

Soweit alles klar? Mitnichten. Abgrenzungsdiskussionen zwischen Fachexperten und Aufsichtsbehörden/Gerichten sind zu erwarten. Ob der Anwendungsbereich der MiCAR eröffnet ist (vgl im Detail Art 2 MiCAR), wird sich erst im Einzelfall entscheiden. Finanzinstrumente fallen grds aus dem Anwendungsbereich der VO (Art 2 Abs 4 MiCAR; hier gilt MiFID II etc - aber was ist ein Finanzinstrument?).3 Bei digitalen Zahlungsinstrumenten, E-Geld-Token etc sind Überlappungen zwischen MiCAR und anderen Sektoralvorschriften vorprogrammiert (es gilt der Grundsatz "substance over form" bzw es wird das verwaltungsrechtliche Kumulationsprinzip zu beachten sein). Auf die dem Projekt zugrunde liegende Technologie kommt es jedoch nicht an (vgl auch ErwGr 9 MiCAR).

Wenig geglückt ist die Dualität der aufsichtsbehördlichen Zuständigkeiten: Anbieter signifikanter Token unterliegen der Aufsicht der EBA (Art 117 ff, Art 122 ff MiCAR), die jedoch Aufgaben an die nationale Behörde delegieren kann.

Es ist noch zu früh, MiCAR als den "großen legistischen Wurf" zu bezeichnen. Wesentliche Kernthemen hat der Gesetzgeber ausgespart:4 Neben der Ausklammerung von dezentral "kreierten" Krypto Assets äußert sich die VO zu aktuellen Themen wie "Decentralised Finance" oder "Non Fungible Tokens"5 nicht bzw nur am Rande; auch die Abgrenzung zwischen MiCAR und den bestehenden Finanzmarktakten erscheint nicht im Detail durchdacht, wenn man etwa bedenkt, dass das EU-Pilotregime für DLT-basierte Finanzinstrumente (VO [EU] 2022/858) anders konzipiert ist. Mitunter wirkt die VO - gerade aus KMU-Sicht - detailverliebt, weil der Gesetzgeber viele organisatorische Themen aus MiFID II unreflektiert übernommen hat etc. Aber auch das überrascht nicht.

Dennoch: Das erste Zwischenfazit fällt positiv aus; der erste Schritt ist getan - digitale Geschäftsmodelle können in 12 bzw 18 Monaten grenzüberschreitend auf Basis eines einheitlichen Regelungskanons erbracht werden. Nationales Flickwerk im Bereich der Krypto-Regulierung sollte schrittweise der Vergangenheit angehören.

1

ABl L 2023/150, 40-205 vom 9. 6. 2023.


2

Die EU fungiert hier als globaler Trendsetter. Der EWR wird MiCAR wohl demnächst in das EWRA übernehmen, womit auch im Fürstentum Liechtenstein, Island und Norwegen der Same-rules-same-risk-Ansatz verwirklicht wird; auch die Schweiz wird wohl im Interesse der Marktkonformität ein vergleichbares Regime erlassen.


3

S dazu den lesenswerten Beitrag von Völkel in diesem Heft, ZFR 2023/122, 268.


4

Weiterführend Zetzsche/Buckley/Arner/van Ek, Remaining regulatory challenges in digital finance and crypto-assets after MiCA (2023, Studie im Auftrag des EP).


5

S näher den Beitrag von Toman/Schinerl in diesem Heft, ZFR 2023/123, 276.


Artikel-Nr.
ZFR 2023/121

22.06.2023
Heft 6/2023