Judikatur im Fokus

Anwendung der SCHUFA-Entscheidung des EuGH zur Restschuldbefreiung durch den VwGH

Jennifer Salomon / Gerald Trieb

Der EuGH hatte der Speicherdauer von Informationen über Restschuldbefreiungen enge Grenzen gesetzt. Nach dieser Rsp dürfen Kreditauskunfteien in ihren eigenen Datenbanken aus einem öffentlichen Register stammende Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zum Zweck von Bonitätsauskünften nur so lange speichern, wie diese Informationen auch im öffentlichen Register einsehbar sind.1 Knapp zwei Monate später lag bereits die erste hg E des VwGH vor, in der dieser die Rsp des EuGH übernimmt und abgrenzt.

1. Einleitung

Die Zulässigkeit von (1.) Speicherung und (2.) Aufbewahrung (inkl Verwendung) von Zahlungserfahrungsdaten muss speziell in der "Bankenwarnliste", aber auch ganz allgemein in Datenbanken von Kreditauskunfteien mangels einschlägiger gesetzlicher Regelung anhand der Zwecke für die Aufbewahrung im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung und Interessenabwägung beurteilt werden.2 Diese Einzelfallbetrachtung steht grds den nationalen Gerichten zu. Der EuGH hat den Gerichten in seiner E SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung) allerdings "sachdienliche Hinweise" für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Speicherung und Aufbewahrung von Informationen über die Restschuldbefreiung, die aus öffentlichen Registern, wie zB der Insolvenzdatei, stammen, in Datenbanken von Kreditauskunfteien zum Zweck von Bonitätsauskünften gegeben. Danach seien die Auswirkungen einer (bloß) parallelen Speicherung der Daten zwar weniger schwerwiegend als nach Beendigung der Einsehbarkeit im öffentlichen Register; die Speicherung stelle aber dennoch einen Eingriff in die Rechte nach Art 7 und 8 GRC dar. Zudem dürfe die Speicherdauer in der Bonitätsdatenbank nicht jene Dauer überschreiten, die der nationale Gesetzgeber für die öffentliche Zugänglichkeit (Einsehbarkeit) dieser Informationen in der Insolvenzdatei festgelegt hat.3 Begründend führt der EuGH aus, dass der - im Anlassfall - deutsche Gesetzgeber bei der Festlegung dieser Dauer bereits eine Interessenabwägung durchgeführt habe, wonach die Interessen der betroffenen Person an der Geheimhaltung nach Ablauf der Einsehbarkeit (in D sechs Monaten ab Restschuldbefreiung)4 diejenigen der Öffentlichkeit, über diese Informationen zu verfügen, überwiegen.5 Zudem verweist er auf die Ausführungen des GA in Rn 75 seiner Schlussanträge: Danach soll die erteilte Restschuldbefreiung der betroffenen Person eine erneute Beteiligung am Wirtschaftsleben ermöglichen und die Verwirklichung dieses Ziels wäre gefährdet, wenn Kreditauskunfteien Informationen über die Restschuldbefreiung zur Bonitätsbeurteilung auch nach Aufhebung der Einsehbarkeit im öffentlichen Register als negativen Faktor zur Bonitätsbeurteilung heranziehen könnten.6

2. Spielraum für Einzelfallbeurteilung?

Das Unionsrecht sieht zwar keine formelle "Erga-omnes-Wirkung" von EuGH-E vor, die über den konkreten Einzelfall (Anlassfall) hinausreichende Präjudizwirkung ist aber aus zahlreichen E des EuGH und des OGH abzuleiten.7 Die nationalen Gerichte müssen daher bei der Interessenabwägung gem Art 6 Abs 1 lit f DSGVO über die Zulässigkeit von Speicherung und Aufbewahrung die "sachdienlichen Hinweise" des EuGH berücksichtigen, auch wenn sie selbst anderer Rechtsansicht sind. Hinsichtlich der gegenständlichen Einzelfallbeurteilung lässt der EuGH auf den ersten Blick kaum Spielraum, der sich allerdings bei näherer Betrachtung ausweitet. Dies liegt schon daran, dass die Vorlagefrage sehr eng formuliert und somit die Auslegungsmöglich-


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keit des EuGH stark beschränkt war. Gegenstand der EuGH-E ist daher nur

-die Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung
-für natürliche Personen,
-die während öffentlicher Einsehbarkeit dem Insolvenzregister entnommen wurden.

Offen bleibt daher, ob und inwieweit diese Rsp des EuGH auch auf eine Speicherung und Aufbewahrung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zu übertragen ist, die nicht aus dem Insolvenzregister (oder einem anderen Register während öffentlicher Einsehbarkeit), sondern aus einer anderen Quelle stammen. Es bleibt aber auch unbeantwortet, ob die nationalen Gerichte die bisherige Judikaturlinie zur zulässigen Speicherdauer von anderen Zahlungserfahrungsdaten (als von Informationen über die Restschuldbefreiung, also zB Zahlungsausfälle oder Insolvenzen, offene Forderungen) aufrechterhalten, wonach dafür der fünfjährige Beobachtungszeitraum der CRR als Richtschnur herangezogen werden kann.8

3. Die Anwendung der EuGH-Entscheidung durch den VwGH

Der VwGH hatte über einen mit dem Anlassfall der EuGH-E nahezu identischen Fall zu urteilen.9 Über das Vermögen des RevWerbers war ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und der Zahlungsplan erfüllt worden. Der anschließende Antrag des RevWerbers auf "Löschung der Eintragungen aus der Insolvenzdatei" gem § 256 Abs 3 IO wurde bewilligt, die betreffenden Informationen waren in der Insolvenzdatei somit nicht mehr öffentlich zugänglich - aber aus dieser nicht gelöscht. Die Kreditauskunftei verarbeitete jedoch weiterhin die Informationen über die Restschuldbefreiung für das Bonitätsprofil des RevWerbers.

Die E des EuGH abwartend,10 hält der VwGH zunächst fest, dass zwar ein berechtigtes Interesse der Kreditauskunftei gem Art 6 Abs 1 lit f DSGVO an der Verarbeitung der Daten der betroffenen Person (und damit an der grundsätzlichen Speicherung der Informationen in dieser eigenen Datenbank) vorliegt, um eine objektive und zuverlässige Bewertung der Kreditwürdigkeit der potenziellen Kunden der Vertragspartner der Kreditauskunftei zu ermöglichen, wodurch Informationsunterschiede ausgeglichen und Betrugsrisiken und andere Unsicherheiten verringert werden sollen. Da sich der VwGH jedoch in weiterer Folge nicht ausdrücklich mit der Zulässigkeit der parallelen Speicherung der Informationen in der Datenbank der Kreditauskunftei beschäftigt, wird diese Frage mit dem besprochenen Erk nicht geklärt; da der VwGH die Zulässigkeit aber nicht infrage stellte, geht er wohl davon aus, dass diese gegeben ist.11 Der EuGH-E folgend, stellte jedoch auch der VwGH fest, dass nach "Löschung" dieser Informationen aus der (nunmehr österr) Insolvenzdatei ein Jahr nach Ablauf der im Zahlungsplan vorgesehenen Zahlungsfrist (und damit ohne das Erfordernis der tatsächlichen Erfüllung des Zahlungsplans12 [!]) die Interessen der betroffenen Personen an der Geheimhaltung diejenigen der Kreditauskunftei und ihrer Vertragspartner überwiegen, weshalb auch der VwGH von einer Unzulässigkeit einer über diesen Zeitraum hinausgehenden Aufbewahrung (und Verwendung) dieser Informationen durch Kreditauskunfteien ausgeht.13

Der VwGH stützt diese Ansicht für die österr Rechtslage neben der EuGH-E hauptsächlich auf die Erläut zum IRÄG14 und daher ebenfalls auf den nationalen Gesetzgebungsprozess zur Festlegung der Dauer der Einsehbarkeit von Informationen in der Insolvenzdatei.15 Er geht jedoch sogar weiter als der EuGH, weil seiner Meinung nach bereits mit Erfüllung des rechtskräftig bestätigten Zahlungsplans die Rechte und Interessen der betroffenen Person diejenigen der Öffentlichkeit überwiegen, über diese Informationen zu verfügen, sodass also die Jahresfrist in § 256 Abs 2 IO als Maximalfrist anzusehen wäre, falls die betroffene Person keinen (erfolgreichen) Antrag auf Löschung aus der Insolvenzdatei gem § 256 Abs 3 IO stellt.16 Dies hätte jedoch uE zur Folge, dass die öffentliche Einsehbarkeit der Information über die Restschuldbefreiung in der Insolvenzdatei nach Ablauf der im Sanierungs- bzw Zahlungsplan festgehaltenen Zahlungsfrist gegen die DSGVO verstoßen muss, da das Ergebnis der gegenständlichen Interessenabwägung nicht von einem entsprechenden Antrag der betroffenen Person abhängen kann.

Auch laut VwGH wird den betroffenen Personen durch die Verarbeitung der Informationen in der Bonitätsdatenbank über den Zeitraum der öffentlichen Einsehbarkeit in der Insolvenzdatei hinaus die Teilnahme im Geschäftsverkehr und die Deckung ihrer Grundbedürfnisse unverhältnismäßig erschwert.17 Begründend führt der VwGH aus, dass die Informationen über die Erteilung der Restschuldbefreiung immer als negativer Faktor bei der Bonitätsbewertung herangezogen werden, wodurch den betroffenen Personen die Ausübung ihrer Freiheiten erschwert wird, "insb, wenn es darum geht, Grundbedürfnisse zu decken".18 Diesem Argument des VwGH kann allerdings nicht gefolgt werden, da schon nicht ersichtlich ist, wieso eine Teilnahme am Wirtschaftsleben derart eingeschränkt sein soll, dass Grundbedürfnisse nicht mehr gedeckt werden können. Eine Wiederteilnahme am Wirtschaftsleben wäre der betroffenen Person nämlich keinesfalls verwehrt, sondern unter anderen Voraussetzungen, wie zB mit anderen Zahlungskonditionen, weiterhin möglich. Nach einer früheren


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E des VwGH führt die Verarbeitung eines negativen Bonitätsdatums dementsprechend auch gerade nicht zu einer unzumutbaren Belastung für die Teilnahme am Wirtschaftsleben, weil ein negatives Zahlungserfahrungsdatum selbst keine Bonitätsbeurteilung darstellt, sondern dafür noch weitere Informationen zu berücksichtigen sind.19 Zudem ist zu bedenken, dass die Erteilung der Restschuldbefreiung es der betroffenen Person erleichtert, am Wirtschaftsleben wieder teilzunehmen, weil sie eine (zu Recht bestandene) Forderung (meistens zum überwiegenden Großteil [!]) nicht mehr begleichen muss und schon dadurch ihre Zahlungsfähigkeit (und damit auch ihre Bonität) erhöht ist; dies ist Sinn und Wirkung der Erteilung einer Restschuldbefreiung.

Darüber hinaus hat der österr Gesetzgeber in seinen Erläut zum IRÄG 1997 selbst darauf hingewiesen, dass zwar nach Ablauf eines Jahres nach der Restschuldbefreiung davon auszugehen sei, dass kein Interesse des Publikums an den Eintragungen in der Insolvenzdatei mehr bestehe. Das Gericht und die Parteien, aber auch Dritte, die ein rechtliches Interesse daran bescheinigen können, haben jedoch gem § 219 ZPO weiterhin die Möglichkeit, in Daten über die zurückliegende Insolvenz Einsicht zu nehmen.20 Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausreicht, und die Einsichtnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben.21 Laut OGH ist zB das Interesse eines Insolvenzgläubigers an Akten früherer Insolvenzanträge jedenfalls als rechtliches Interesse anzusehen.22 Dasselbe muss jedenfalls für rechtlich verpflichtende Prüfungen der Kreditwürdigkeit gelten, wie bspw die Bonitätsbewertung im Rahmen der VerbraucherkreditRL23 und der WohnimmobilienkreditRL24 sowie die Beurteilung der Ausfallswahrscheinlichkeit und der drohenden Verlustquote iSd CRR. Auch der EuGH gesteht zu, dass nach seinem Verständnis die Verarbeitung von Zahlungserfahrungsdaten durch Kreditauskunfteien den sozioökonomischen Interessen des gesamten Kreditsektors dient.25 Die VerbraucherkreditRL und die WohnimmobilienkreditRL schützen laut EuGH einerseits den Kreditantragsteller, darüber hinaus gewährleisten sie aber auch das reibungslose Funktionieren des gesamten Kreditsystems.26 Wenn daher bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses gem § 219 ZPO sogar Akteneinsicht gewährt werden kann - was jedenfalls in Ö der Fall ist -, kann eine Verarbeitung der Informationen aus der Insolvenzdatei durch die Kreditauskunfteien zur Bedienung ebensolcher rechtlicher Interessen, die Voraussetzung für die Belieferung mit Bonitätsauskünften sind (nicht jedermann hat Zugang zu diesen Informationen [!]), auch über den Zeitpunkt der Einsehbarkeit hinaus nicht unzulässig sein. Vielmehr müssen diese Interessen bei einer Interessenabwägung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO berücksichtigt werden. Schon deshalb kann das Interesse der (berechtigten) Öffentlichkeit an Informationen über die Restschuldbefreiung nicht mit dem Ablauf der öffentlichen Einsehbarkeit in der Insolvenzdatei beschränkt sein.

4. Weitere Kritik

4.1. Verkennung der unterschiedlichen Verarbeitungszwecke im Insolvenzregister durch die Kreditauskunftei

Abgesehen davon, dass nach öffentlicher Einsehbarkeit die Daten aus der Insolvenzdatei tatsächlich nicht gelöscht, sondern Berechtigten weiterhin zugänglich sind und schon deswegen auch von Kreditauskunfteien noch für Bonitätsauskünfte verarbeitet werden dürfen, dient die Veröffentlichung der Informationen in der Insolvenzdatei einem anderen Zweck als ihre Speicherung und Aufbewahrung in der Datenbank einer Kreditauskunftei.27 Vor Veröffentlichung der EuGH-E hatte der VwGH in einer anderen E noch explizit auf diese unterschiedlichen Zwecke hingewiesen, um damit gerade - völlig zutreffend - zu begründen, dass die Löschung von Informationen aus der Insolvenzdatei für die Zulässigkeit der darüber hinausgehenden Aufbewahrung in der Bankenwarnliste (als einer solchen Datenbank einer Kreditauskunftei) irrelevant ist.28 Anders als es der EuGH dargelegt hat, kann daher die gesetzlich festgelegte Dauer der Einsehbarkeit von Informationen über die Restschuldbefreiung in der Insolvenzdatei auch keiner Interessenabwägung zur Beurteilung der zulässigen Dauer der Aufbewahrung dieser Informationen in der Datenbank einer Kreditauskunftei vorgreifen.29

Hinzu kommt, dass die Festlegung der Dauer der Einsehbarkeit nach Art 79 Abs 5 EuInsVO den Mitgliedstaaten (MS) überlassen wurde. Bereits ein Vergleich der diesbezüglichen Regelungen von Ö und D zeigt, dass die Dauer der Einsehbarkeit ganz erheblich voneinander abweicht: In Ö sind die Informationen grds nach einem Jahr ab zahlungsplangemäßem Erreichen der Restschuldbefreiung nicht mehr einsehbar, in D bereits nach einem halben Jahr. Wieso die Interessen der betroffenen Personen an der Geheimhaltung der Information über das Vorliegen einer vergangenen Restschuldbefreiung von den Gesetzgebern jedenfalls zweier (tatsächlich aber wohl vieler, wenn nicht sogar aller) MS unterschiedlich bewertet worden und daher entsprechend voneinander erheblich abweichende Fristen für die (maximale) Einsehbarkeit festgelegt worden sein sollen, erschließt sich nicht. Zudem ist die Abwägung gem Art 6 Abs 1 lit f DSGVO vom jeweiligen Verantwortlichen, ungeachtet der staatlichen Rechtsvor-


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schriften betreffend die (maximale) Einsehbarkeit der Informationen im Insolvenzregister, selbst durchzuführen. Staatliche Rechtsvorschriften können dabei zwar als Richtschnur herangezogen werden, die Interessenabwägung aber nicht ersetzen oder vorwegnehmen. Bei der nationalen Festlegung der Regelung über die Dauer der Einsehbarkeit von Informationen über die Restschuldbefreiung im Insolvenzregister konnte daher entgegen dem EuGH tatsächlich keine Interessenabwägung über die Speicherdauer dieser Informationen von Kreditauskunfteien in ihren eigenen Datenbanken vorgenommen werden, hätten doch diesfalls die MS zu idealerweise gleichen, zumindest aber sehr ähnlichen gesetzlichen Fristen gelangen müssen. Mit etwaigen generellen mitgliedstaatlichen Systemunterschieden im Bereich der Dienstleistungen von Kreditauskunfteien und der Risikominimierung für Gläubiger, die diese unterschiedlichen Fristen erklären könnten, setzte sich schon der EuGH erst gar nicht auseinander; jedenfalls die unterschiedlichen Fristen der deutschen und österr Insolvenzordnung sind aber für den (nicht vorliegenden) Fall der Vornahme einer entsprechenden Interessenabwägung nicht erklärbar. Auch deswegen kann den mitgliedstaatlichen Einsichtsfristen keine entsprechende Interessenabwägung zugrunde liegen, die der EuGH diesen allerdings begründungslos und unzutreffend unterstellte.

4.2. VwGH berücksichtigt zwar den Zweck der CRR, aber nicht den Beobachtungszeitraum

Die österr Behörden und (Höchst-)Gerichte haben zur Beurteilung der zulässigen Speicherdauer von Zahlungserfahrungsdaten (worunter auch Informationen über die Restschuldbefreiung fallen) durch Kreditauskunfteien bisher Art 180 ff CRR herangezogen, die einen fünfjährigen Beobachtungszeitraum für zumindest eine Datenquelle, die auch extern sein kann, zur Beurteilung der Ausfallswahrscheinlichkeit der Forderung vorsehen.30 Es ist bedauerlich, dass der EuGH diese viel passendere und vor allem auch europarechtlich determinierte und harmonisierte (!) Regelung nicht in seine rechtliche Beurteilung einbezogen hat.31

Der VwGH zieht zwar die Vorgaben der Verwendung externer Bonitätsbeurteilungen für die Schätzung der Ausfallswahrscheinlichkeit gem CRR für die Abwägung der berechtigten Interessen der Kreditauskunftei an der Aufbewahrung heran. Den fünfjährigen Beobachtungszeitraum der CRR für Datenquellen zur Beurteilung der Ausfallswahrscheinlichkeit möchte der VwGH aufgrund der Präjudizwirkung der EuGH-E jedoch nicht heranziehen. Durch Anlehnung an den Beobachtungszeitraum der CRR könnte jedoch auch die oben aufgezeigte Problematik der uneinheitlichen Regelungen der MS zur Dauer der Einsehbarkeit in die Insolvenzdateien gelöst werden. Dieser Beobachtungszeitraum ist in einer - für alle MS einheitlich verbindlichen - VO festgelegt und unmittelbar anwendbar.

5. Abgrenzung des VwGH für Informationen, die nicht aus der Insolvenzdatei stammen?

Der VwGH hält am Ende seiner E fest, dass das Erk Ro 2020/04/003732 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.33 Die zulässige Speicherdauer der Informationen in der Bankenwarnliste leitete der VwGH in diesem Erk grds vom zumindest fünfjährigen Beobachtungszeitraum der CRR ab. Auch in diesem Fall ging es um Einträge, die einer Restschuldbefreiung unterliegen und in der Insolvenzdatei nicht mehr öffentlich zugänglich waren. Allerdings wird die Bankenwarnliste mit Zahlungserfahrungsdaten der Kreditinstitute gespeist; sie stammen daher nicht aus der Insolvenzdatei. Im konkreten Fall handelte es sich um Informationen, die durch das Kreditinstitut iZm der bei ihr bestehenden Girokontoverbindung der betroffenen Person erhoben und in die Bankenwarnliste eingetragen wurden. Der VwGH weist in seiner hier besprochenen E jedoch explizit darauf hin, dass die Speicherdauer von zumindest fünf Jahren in dem früheren Erk unter Bedachtnahme auf die CRR als zulässig erachtet wurde, weil die CRR allgemeine Aufsichtsanforderungen für Kreditinstitute vorsieht.34 Daraus könne geschlossen werden, dass sich zumindest Kreditinstitute weiterhin auf eine fünfjährige Speicherdauer von Zahlungserfahrungsdaten berufen können, wenn die Informationen von den Kreditinstituten selbst stammen. Wünschenswert wäre zudem, dass die DSB diese E zum Anlass nimmt, ihre derzeitige Ansicht bezüglich der Unbeachtlichkeit der Quelle der Information zu überdenken.35

Dass sich die Kreditauskunfteien - wenigstens für Informationen, die nicht aus der Insolvenzdatei stammen - nicht auf den fünfjährigen Beobachtungszeitraum der CRR stützen können, ist jedoch unzutreffend. So hält schon Art 21 Abs 1 CRR fest, dass alle Kreditgeber Zugang zu den Datenbanken haben müssen, mit deren Verwendung überwacht wird, inwieweit Verbraucher während der Laufzeit eines Kreditvertrags ihre Kreditverpflichtungen erfüllen. Dies gilt gem Art 21 Abs 2 CRR auch für von privaten Kreditbüros und Kreditauskunfteien betriebene Datenbanken. Wenn schon der VwGH an seiner Rsp zur zulässigen Speicherdauer von zumindest fünf Jahren für Zahlungserfahrungsdaten in der Bankenwarnliste deswegen festhält, weil Kreditinstitute und Wertpapierfirmen ihren Verpflichtungen nach der CRR nachkommen müssen, muss dies demnach jedenfalls auch für die Verarbeitung durch Kreditauskunfteien gelten, wenn sie Kreditinstitute und Wertpapierfirmen bei ihren Verpflichtungen zur Ausfallswahrscheinlichkeit unterstützen.

Leider widerspricht sich der VwGH durch Festhalten an seinem früheren Erk mit dem Hinweis, dass die Aufsichtsanforde-


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rungen nicht für Kreditauskunfteien gelten und daher der Fall anders zu entscheiden wäre, selbst, weil die Bankenwarnliste, um die es in dem früheren Erk ging, in datenschutzrechtlicher Verantwortlichkeit einer Kreditauskunftei geführt wird und dort die Aufbewahrung weiterhin als zulässig erachtet wurde. Es bleibt daher zu hoffen, dass der VwGH diesen Widerspruch wieder auflöst und die Zulässigkeit der Aufbewahrung von Informationen über die Restschuldbefreiung auch über den Zeitpunkt der öffentlichen Einsehbarkeit hinaus zulässt; dies insb dann, wenn Kreditauskunfteien die Informationen für Auskünfte gegenüber Verantwortlichen verwenden, die - wie zB Kreditinstitute und Wertpapierfirmen im Rahmen ihrer Verpflichtungen aus der CRR - ein rechtliches Interesse an der Verarbeitung dieser Daten haben, das sie sogar zur Einsichtnahme in die Insolvenzdatei zu einem Zeitpunkt berechtigt, zu dem sie nicht mehr öffentlich einsehbar sind. Andernfalls könnten sich Anfragen auf Einsichtnahme in die Insolvenzdatei durch Berechtigte in Zukunft häufen und die Gerichte beschäftigen.

Damit im Einklang steht auch, dass bei einer Interessenabwägung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO nicht nur die eigenen Interessen der Kreditauskunfteien an der Verarbeitung der bonitätsrelevanten Informationen in den eigenen Datenbanken zu berücksichtigen sind, sondern auch die Interessen Dritter, also zB der Kreditinstitute, die eine Bonitätsauskunft von Kreditauskunfteien beziehen, gleichermaßen in die Interessenabwägung einzubeziehen sind.

6. OGH: Keine klare Entscheidung

Der 5. Senat des OGH wies unterdessen eine Rev mangels erheblicher Rechtsfrage zurück, die ein Löschbegehren von Einträgen in der Bankenwarnliste und der Kleinkreditevidenz (KKE) betraf.36 Die KKE wird von Banken, kreditgebenden Versicherungsunternehmen und Leasingunternehmen gespeist; die Bankenwarnliste ausschließlich von Banken. Die Einträge über einen unbeglichenen Kreditvertrag, über dessen Forderung infolge der Erfüllung des Zahlungsplans die Restschuldbefreiung erteilt wurde, stammten daher nicht aus dem Insolvenzregister. Obwohl der Eintrag nach Restschuldbefreiung im öffentlichen Insolvenzregister nicht mehr einsehbar war, wies der OGH die Rev zurück, weil die Orientierung des OLG Wien an der bestehenden Rsp des OGH zum datenschutzrechtlichen Anspruch auf Löschung gegenüber einer Kreditauskunftei nicht zu beanstanden war.37 Die vom OGH zitierte Rsp stützt sich auf den fünfjährigen Beobachtungszeitraum der CRR, sieht aber darüber hinaus - je nach Einzelfall - auch eine Speicherdauer von bis zu zehn Jahren als zulässig und erforderlich an.38 Diese Ansicht hat mittlerweile auch der 1. Senat des OGH bestätigt.39 Die dort vorliegende Rev betraf ebenfalls die Bankenwarnliste und eine Forderung, die einer Restschuldbefreiung unterlag, weshalb der Eintrag im Insolvenzregister nicht mehr öffentlich einsehbar war, die Informationen aber dennoch - rund 11 Monate nach erfolgter Tilgung - weiterhin in der Bankenwarnliste aufbewahrt wurden.40 Leider setzte sich der OGH in keinem der beiden Beschlüsse mit der EuGH-E auseinander, weshalb nur gemutmaßt werden kann, dass der OGH aufgrund der unterschiedlichen Quelle der Daten bewusst die Rsp des EuGH nicht angewendet hat. IS der Rechtssicherheit bleibt daher zu hoffen, dass sich der OGH in einem anderen sich anbietenden Fall ausdrücklich mit der E des EuGH auseinandersetzen und dabei sein diesbezügliches Verständnis darlegen wird.

7. BVwG: Parallele Speicherung für ein möglichst vollständiges Bild zum Zahlungsverhalten erforderlich

Soweit ersichtlich, hat sich das BVwG in seinem Erk vom 22. 12. 2023 zum ersten Mal ausdrücklich mit der Frage der Zulässigkeit der Speicherung von Informationen aus der Insolvenzdatei durch Kreditauskunfteien beschäftigt.41 Das BVwG berücksichtigte dabei die Interessen der Kreditauskunfteien und der Unternehmen, die kreditrelevante Verträge eingehen wollen und daher eine Bonitätsauskunft bei einer Kreditauskunftei einholen, aber auch die Bedeutung der Kreditauskunfteien als Fundament des Kreditwesens und der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft. Es ist laut BVwG zwar möglich, dass das jeweilige Unternehmen die Bonitätsprüfung im Einzelnen selbst im Wege eigener Abfragen in der Insolvenzdatei durchführt, jedoch erscheint ein möglichst vollständiges Bild zum Zahlungsverhalten eines (potenziellen) Kunden durch Einzelabfragen kaum sinnvoll realisierbar, weshalb die parallele Speicherung der Informationen in den Datenbanken der Kreditauskunfteien jedenfalls als erforderlich iSd Art 6 Abs 1 lit f DSGVO angesehen werden kann.

Das BVwG bezog in die Interessenabwägung die Anzahl der Gläubiger und die Höhe des Ausfalls der Forderungen ein, den die Gläubiger im Zuge des Sanierungsverfahrens erlitten.42 UE sind diese Umstände aber kein Anhaltspunkt für den Ausgang der Interessenabwägung, weil auch eine Insolvenz mit nur wenigen Gläubigern nicht dazu führen kann, dass die Information darüber nicht gespeichert werden darf, weil andernfalls der oben genannte Zweck der Information, über ein möglichst vollständiges Bild zum Zahlungsverhalten zu verfügen, nicht erreicht werden kann. Insb das zweite Argument des BVwG, das die Erwartungshaltung der betroffenen Person einbezieht, überzeugt jedoch. Demnach kann die betroffene Person kaum davon ausgehen, dass die Informationen über das Insolvenzverfahren nicht


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zum Zweck der Bonitätsbeurteilung verarbeitet werden, solange diese in der Insolvenzdatei öffentlich verfügbar sind.43

Hinzu kommt, dass das Gewerbe der Kreditauskunfteien ein in § 152 GewO anerkanntes Gewerbe ist. Sollte die Verarbeitung von für die Bonitätsbewertung relevanten Informationen als unzulässig angesehen werden, nur weil sie in einem öffentlichen Register einsehbar sind, könnte das Gewerbe nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden.

8. Resümee

Der VwGH übernahm die Auslegung des EuGH in Bezug auf die zulässige Speicherdauer von Informationen über die Restschuldbefreiung. Demnach dürfen solche Informationen, die aus der Insolvenzdatei stammen und zum Zweck von Bonitätsauskünften in den Datenbanken von Kreditauskunfteien gespeichert werden, nur für die Dauer der Einsehbarkeit dieser Informationen in der Insolvenzdatei gespeichert werden. Dies gilt laut VwGH auch für den Fall, dass die Beschränkung der öffentlichen Einsehbarkeit von Informationen in der Insolvenzdatei auf Antrag gem § 256 Abs 3 IO erfolgt. Leider hat aber nun auch der VwGH - anders als noch in seiner E vom 9. 5. 2023 - nicht die unterschiedlichen Zwecke der Veröffentlichung der Daten in der Insolvenzdatei und der Verarbeitung der Daten in den Datenbanken der Kreditauskunfteien aufgegriffen. Hinzu kommt, dass sich die Dauer der Einsehbarkeit von Informationen in der Insolvenzdatei in den einzelnen MS erheblich voneinander unterscheidet. Ein Grund oder Anhaltspunkt dafür, dass dies darauf gründet, dass die Interessenlage der Kreditwirtschaft, die deren Verfügbarkeit wünscht, und jene der betroffenen Personen, die an der Geheimhaltung interessiert sind, je nach MS unterschiedlich zu beurteilen wären, ist nicht ersichtlich.

Erfreulich ist hingegen, dass der VwGH an seiner E zur zulässigen Speicherdauer von Informationen (auch über die Restschuldbefreiung) in der Bankenwarnliste festhält und dafür seiner Meinung nach weiterhin der zumindest fünfjährige Beobachtungszeitraum der CRR herangezogen werden kann. Leider hat der VwGH darauf hingewiesen, dass dies nicht für Kreditauskunfteien gelte, und dabei nicht erkannt, dass die Bankenwarnliste in datenschutzrechtlicher Verantwortlichkeit einer Kreditauskunftei geführt wird. Zu hoffen bleibt daher, dass der VwGH erkennt, dass der fünfjährige Beobachtungszeitraum der CRR auch für Kreditauskunfteien gelten muss, die Informationen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen speichern und aufbereiten (zB in der Bankenwarnliste), um Letztere bei Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen zu unterstützen; dies bedarf einer Datenverarbeitung, die - wie auch Art 6 Abs 1 lit f DSGVO festhält - im berechtigten Interesse Dritter zulässig ist.

1

EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung) ZFR 2024/31, 71.


2

S dazu: Salomon/Trieb, Zulässige Speicherdauer von Zahlungserfahrungsdaten bei Kreditauskunfteien, ZFR 2021/264; Salomon/Trieb, Zulässige Speicherdauer von Zahlungserfahrungsdaten in der Bankenwarnliste, ZFR 2023/198.


3

EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 113.


4

In Ö beträgt diese Frist gem § 256 Abs 2 IO ein Jahr.


5

EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 97; Näheres zur Interessenabwägung s Salomon/Trieb, EuGH: Beschränkung der Speicherdauer der Informationen über das Vorliegen einer Restschuldbefreiung bei Kreditauskunfteien, ZFR 2024/30.


6

GA Priit Pikamäe, SA 16. 3. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 75; EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 98.


7

RIS-Justiz RS0110582 (T2).


8

OGH 23. 6. 2021, 6 Ob 87/21v; 17. 10. 2022, 6 Ob 102/22a; s dazu Salomon/Trieb, ZFR 2021/264.







14

Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1997 - IRÄG 1997, RV 734 BlgNR 20. GP 34, 63, und Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 - IRÄG 2010, RV 612 BlgNR 24. GP 3, 35.







20

ErläutRV zum IRÄG 1997, 734 BlgNR 20. GP 63.


21

LGZ Wien 28. 6. 2005, 42 R 280/05w EFSlg 112.122.



23

RL 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge, ABl L 2008/133, 66; § 7 Abs 1 VKrG.


24

RL 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher, ABl L 2014/60, 34; § 9 Abs 1 und 2 HIKrG.


25

EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 83.


26

EuGH 7. 12. 2023, C-26/22 und C-64/22, SCHUFA Holding (Restschuldbefreiung), Rn 86.


27

Näheres s Salomon/Trieb, ZFR 2024/30, 69 f.



29

Näheres s Salomon/Trieb, ZFR 2024/30.



31

Näheres s Salomon/Trieb, ZFR 2024/30, 70.





35

Vgl DSB-D124.0587 (2024-0.006.426), DSB-Newsletter 1/2024.




38

OGH 23. 6. 2021, 6 Ob 87/21v; 17. 10. 2022, 6 Ob 102/22a; s dazu Salomon/Trieb, ZFR 2021/264.



40

Kontrast zur Dauer der Einsehbarkeit der "sonstigen" Insolvenzdaten.





Artikel-Nr.
ZFR 2024/92

31.05.2024
Heft 5/2024
Autor/in
Jennifer Salomon

Jennifer Salomon, LL.M. ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Knyrim Trieb Rechtsanwälte und bereits seit mehreren Jahren im Bereich Datenschutzrecht tätig.

Gerald Trieb

Dr. Gerald Trieb, LL.M. ist Gründer der Kanzlei Knyrim Trieb Rechtsanwälte. Er hat sich ua auf die Beratung von Unternehmen und Konzernen bei der Einhaltung datenschutzrechtlicher und arbeitsverfassungsrechtlicher Bestimmungen sowie auf die Vertragsgestaltung bei der Beschaffung von IT-Dienstleistungen spezialisiert. Er publiziert regelmäßig in einschlägigen juristischen Fachzeitschriften zu aktuellen Fragen in diesen Rechtsbereichen und hält auch laufend Vorträge auf Konferenzen, Fachseminaren und bei In-house Schulungen. Er ist Certified Information Privacy Professional/Europe und Certified Information Privacy Technologist nach IAPP und zertifizierter Experte für das Europäische Datenschutz-Gütesiegel EuroPriSe.