Dieser Artikel wurde Ihnen von einem unserer Abonnenten zur Verfügung gestellt. Mit einem Abonnement der ZFR erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
In modernen Finanzmärkten haben Forderungen als bilanzielle Vermögenswerte mittlerweile eine wichtige Bedeutung für die Kapitalbeschaffungskapazität. Eine Forderungsübertragung kann insb für Klein- und Mittelunternehmen, aber auch für große Finanzintermediäre eine effektive Mobilisierung von Kapital und Liquidität ermöglichen. Durch die stetig zunehmende internationale Verflechtung, nicht nur im Geschäftsverkehr, sondern in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen, werden Forderungen häufig grenzüberschreitend abgetreten. Damit ein Zessionar seine Forderung bei einer grenzüberschreitenden Zession nicht nur dem Schuldner, sondern auch möglichen Konkurrenten (Dritten) entgegenhalten kann, muss diese drittwirksam abgetreten werden.1
Im Vergleich zur rein innerstaatlichen Zession sind grenzüberschreitende Abtretungsgeschäfte aufgrund der uneinheitlichen Anknüpfung ihrer Drittwirkung aber mit einem erhöhten Risiko behaftet. Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen kollisionsrechtlichen Ansätze genügt bereits ein einfacher Vergleich: Während in Ö die Frage der Drittwirkung an das Forderungsstatut2 anknüpft (§ 1 Abs 1 iVm § 31 IPRG), gilt in Belgien das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten (Art 4 iVm Art 87 Abs 3 Satz 1 CODIP)3 und in Frankreich der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners als Anknüpfungspunkt.4 Um die
Rechtssicherheit bei einer grenzüberschreitenden Zession zu erhöhen, wurde insb Art 14 Rom I-VO5 geschaffen.6 Wie jedoch aus dem EuGH-Urteil vom 9. 10. 20197 hervorgeht, ist Art 14 Rom I-VO weder unmittelbar noch analog auf die Frage der Drittwirkung anzuwenden. Im Jahr 2018 verfasste die Kom bereits einen Entwurf für eine VO betreffend das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anwendbare Recht (nachfolgend DrittwVO-Entwurf).8 Es kam anschließend im Jahr 2019 zu einer ersten Lesung des Entwurfs, wobei das Europäische Parlament (nachfolgend EP) 24 Änderungen beschloss. Der Rat einigte sich indes erst im Jahr 2021 auf eine allgemeine Ausrichtung.9
Die bisherige lange Dauer des Gesetzgebungsverfahrens zur DrittwVO ist der Uneinigkeit zwischen EP und Rat geschuldet. Daher liegt die letzte technische Sitzung leider schon gut zwei Jahre zurück, sie fand am 8. 3. 2022 statt.10
Ergo besteht nach wie vor in Bezug auf die Drittwirkung bei der grenzüberschreitenden Zession eine unionsweite Rechtszer-
splitterung, wodurch die Rechtsanwender in dieser Frage auch immer noch mit großer Rechtsunsicherheit zu kämpfen haben.
Der vom Rat in seiner allgemeinen Ausrichtung11 beschriebene Standpunkt zeigt, dass die Positionen von EP und Rat hinsichtlich des Anwendungsbereiches in wesentlichen Bereichen des DrittwVO-Entwurfs derzeit noch voneinander abweichen. Erfreulich ist jedoch, dass beide Gesetzgebungsorgane die zukünftige Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten grds gutheißen (Art 4 DrittwVO-Entwurf).
Jüngst findet der DrittwVO-Entwurf in der gemeinsamen Erklärung zu den gesetzgeberischen Prioritäten für die Jahre 2023 und 2024 Erwähnung.12 Am 25. 9. 2023 erhielt der (spanische) Ratsvorsitz zudem ein Schreiben des Rechtsausschusses des EP, das einen Kompromiss vorschlägt und in der Ratssitzung am 23. 11. 2023 diskutiert wurde, aber für die Öffentlichkeit noch unter Verschluss gehalten wird.13
Dies gibt Anlass, nachstehend die noch zur Diskussion stehenden Änderungen des EP im Rahmen der ersten Lesung sowie der allgemeinen Ausrichtung des Rates im Herzstück - Art 4 DrittwVO-Entwurf - darzustellen. Dabei geht es hauptsächlich um den künftigen Anwendungsbereich sowie um die zukünftige Anknüpfung samt möglichen Ausnahmen innerhalb der DrittwVO.
Um die nachstehenden Änderungen der beiden EU-Gesetzgebungsakteure zu Art 4 DrittwVO-Entwurf besser nachvollziehen zu können, ist es erforderlich, kurz auf einige vorgebrachte Modifikationen des Anwendungsbereiches einzugehen.
Das in Art 1 DrittwVO-Entwurf festgeschriebene Ziel der VO ist es, die Drittwirkung bei Forderungsübertragungen in Zivil- und Handelssachen zu regeln, sofern das Rechtsgeschäft eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist. Im Umkehrschluss fallen gewisse Bereiche nicht in den zukünftigen Anwendungsbereich. Es folgt daher in Art 1 Abs 2 DrittwVO-Entwurf eine taxative Auflistung an Ausnahmen, welche Forderungen aus Familienverhältnissen, ehelichen Güterständen, Testament, Erbrecht, Forderungen aus bestimmt bezeichneten Wertpapieren und Forderungen aus Gesellschaftsrecht vom Anwendungsbereich ausschließt. Darüber hinaus soll die VO auf Forderungen aus der Gründung von Trusts14 sowie den dadurch geschaffenen Rechtsbeziehungen und Forderungen aus Lebensversicherungsverträgen keine Anwendung finden.
Die drei wesentlichsten Änderungen im Rahmen der ersten Lesung des EP zum Anwendungsbereich verlangen erstens eine klarere Abgrenzung zur ROM I-VO. Der DrittwVO-Entwurf soll nicht darauf abzielen, die Wirkungen einer rechtsgeschäftlichen Übertragung zu vermischen, sondern eben gerade die bewusste Lücke in der Rom I-VO zur dinglichen Wirkung schließen. Die Rechtsverhältnisse zwischen Zedenten und Zessionar oder der Zessionsparteien zum Schuldner sind und bleiben in Art 14 Rom I-VO reguliert. Zweitens hat das EP den Ausschlusskatalog in Art 1 DrittwVO-Entwurf um einen Themenbereich ergänzt, nämlich um Forderungen im Rahmen eines Gesamtverfahrens iSd EuInsVO.15 Denn die Notwendigkeit, das Inhaberrecht an einer übertragenen Forderung festzustellen, tritt häufig im Rahmen von Insolvenzverfahren auf. Diese zusätzliche Ausnahme ist durchaus sinnvoll, da die EuInsVO für Forderungsübertragungen im Rahmen eines Gesamtverfahrens16 eigene Regelungen enthält. Positiv zu sehen ist in diesem Zusammenhang auch, dass mit der Anknüpfung an das Zedentenstatut im DrittwVO-Entwurf ein Gleichlauf mit dem COMI17 des Insolvenzschuldners iSd Art 3 EuInsVO angestrebt wird.18
Zudem will das EP den Anwendungsbereich auf Verbrauchergeschäfte ausweiten.19 Auch wenn die DrittwVO für Verbraucher nicht dieselbe Bedeutung wie für Unternehmen haben wird, könnten sie die Vorteile der VO für sich nutzen.
Aus der allgemeinen Ausrichtung des Rates lässt sich schließen, dass er sich prioritär mit den Finanzinstrumenten auseinandersetzt und dabei die Ausnahmen im Bereich der Finanzinstrumente weiter präzisiert. Der Rat trägt damit der zum DrittwVO-Entwurf geäußerten Kritik Rechnung, wonach gerade Finanzinstrumente teilweise von anderen Regelwerken erfasst werden und daher die Geltungsbereiche transparenter abzugrenzen sind.20 Um ebendiese Überschneidungen zu vermeiden, hat der Rat die bestehenden Ausnahmen in Zusammenschau mit den ErwGr umfassend ergänzt (Art 1 Abs 2 DrittwVO-Entwurf), indem er ua die Drittwirkung der Übertragung von Finanzinstrumenten, inkl der Bestellung von Sicherheiten, Pfandrechten und anderen Si-
cherungsrechten an solchen Finanzinstrumenten, aber auch die Drittwirkung bei Übertragung von Kryptowerten von der DrittwVO ausnimmt - anders als die Drittwirkung der Übertragung von Forderungen aus einem Finanzinstrument21, welche natürlich in den Anwendungsbereich fallen.
Ausgangspunkt des DrittwVO-Entwurfs ist die objektive Anknüpfung an das Zedentenstatut: "Sofern in diesem Artikel nichts anderes bestimmt ist, bestimmt sich die Drittwirkung einer Forderungsübertragung nach dem Recht des Staates, in dem der Zedent zum maßgebenden Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat" (Art 4 Abs 1 DrittwVO-Entwurf). Was das Abstellen auf den "maßgebenden Zeitpunkt betrifft, so ist kritisch zu würdigen, dass dieser weder im normativen Teil noch durch einen ErwGr näher erläutert wird.22
Anpassungen durch das Europäische Parlament und den Rat:
Die in der Lit mehrfach angeregte Konkretisierung des Zeitpunktes legte das EP in seiner ersten Lesung nunmehr auf den "Zeitpunkt des Abschlusses des Übertragungsvertrages" fest. Die neu gewonnene Definition beugt dem Problem unterschiedlicher Auslegungen vor und fördert die Rechtssicherheit. Durch den Begriff "Übertragungsvertrag"23 steht die Anwendung sowohl Rechtsordnungen mit Trennung der Zession in Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft als auch Rechtsordnungen mit Einheitsprinzip offen. Denn der Begriff umfasst den Übertragungszeitpunkt jeweils beim Trennungs- und Einheitsprinzip. Beim Trennungsprinzip ist dies der Abschluss des Verfügungsgeschäfts, wohingegen beim Einheitsprinzip ohnehin nur auf die allumfassende (und einzige) Vereinbarung abgestellt werden kann.24
Der Rat sah gem seiner allgemeinen Ausrichtung die Notwendigkeit der Präzisierung ebenso wie das EP und hielt den Zeitpunkt des Abschlusses des Übertragungsvertrages auch für richtig.
Bereits der DrittwVO-Entwurf sieht zwei Metakollisionsnormen vor, um die Schwachpunkte des Zedentenstatuts auszugleichen. Die erste Metakollisionsnorm behandelt die Konstellation, dass der Zedent dieselbe Forderung an mindestens zwei unterschiedliche Zessionare abtritt und während dieser Vorgänge seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt. Der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts führt mitunter zu einem Statutenwechsel und die beiden Abtretungen unterliegen zwei Rechtsordnungen, die unterschiedliche Anknüpfungen zur Drittwirkung verfolgen. Zur Lösung dieses Konflikts regelt der DrittwVO-Entwurf, dass das Recht desjenigen gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten angewendet wird, an dem zuerst "eine der Übertragungen wirksam wurde" (Art 4 Abs 1 UAbs 2 DrittwVO-Entwurf). Es gibt hier in der deutschen Sprachfassung jedoch einen gravierenden Übersetzungsfehler: Die deutsche Fassung stellt - im Unterschied zur englischen Fassung - nicht auf den Zeitpunkt der "zuerst wirksam gewordenen Übertragung", sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die "erste Übertragung wirksam wurde",25 ab. Dies ist mE nicht korrekt. Richtigerweise muss also bei zwei infrage kommenden gewöhnlichen Aufenthalten des Zedenten der Vorrang des Zessionars nach dem Recht derjenigen Übertragung bestimmt werden, die zuerst wirksam wird (s sogleich).
Die zweite Metakollisionsnorm beschäftigt sich ebenfalls mit der Abtretung einer Forderung an mindestens zwei unterschiedliche Zessionare, wobei die Drittwirkung der einen Abtretung dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten und die Drittwirkung der anderen Abtretung dem Recht der übertragenen Forderung untersteht (Art 4 Abs 4 DrittwVO-Entwurf). Der vorgenannte Übersetzungsfehler setzt sich in dieser Bestimmung fort. Auch Art 4 Abs 4 DrittwVO-Entwurf ist so zu verstehen, dass sich der Vorrang nach dem Recht derjenigen Abtretung richtet, die nach dem auf ihre Übertragung anwendbaren Recht als Erste (dh richtigerweise auch hier: zuerst und nicht generell "die Erste") drittwirksam wurde. Das Recht dieser (zuerst wirksam gewordenen) Abtretung ist maßgeblich, um den besser berechtigten Zessionar zu bestimmen).26
Anpassungen durch das Europäische Parlament und den Rat:
Sowohl das EP als auch der Rat griffen den Übersetzungsfehler der deutschen Fassung27 in der ersten Metakollisionsnorm auf und formulierten möglichst verständlich dahin gehend, dass bei einer Mehrfachabtretung nicht unbesehen an die erste Übertragung, sondern vielmehr an die zuerst wirksame Übertragung anzuknüpfen ist (Art 4 Abs1 UAbs 2 DrittwVO-Entwurf). Die neue Formulierung wurde von einzelnen Stimmen28 bereits im Vorfeld empfohlen und entspricht weitgehend dem Vorschlag der BRAK.29
Das EP möchte bei Art 4 Abs 4 DrittwVO-Entwurf den zusätzlichen Fall regeln, dass beide Abtretungen gleichzeitig wirksam werden, und bietet folgende Ergänzung : "Werden beide Forderungsübertragungen zum selben Zeitpunkt gegenüber Dritten wirksam, so ist das Recht des Staates maßgebend, in dem der Zedent seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat." Der Rat belässt Art 4 Abs 4 DrittwVO-Entwurf ohne erwähnenswerte Änderungen.
Die Grundidee einer DrittwVO basiert darauf, dass neben der Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten für zwei taxativ aufgelistete Tatbestände eine zwingende Anknüpfung an das Forderungsstatut geboten ist. Zum ersten manifestiert sich dies bei der Abtretung einer Barsicherheit, die auf einem Konto bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben ist (Art 4 Abs 2 lit a DrittwVO-Entwurf). Es dominiert in diesem Fall eben gerade nicht das Zedentenstatut (Kontoinhaber), sondern die Rechtsordnung, welche für den Vertrag zwischen Kontoinhaber und Kreditinstitut maßgeblich ist, und damit das Forderungsstatut.30 Zum Zweiten ist für die Drittwirkung von Forderungen aus einem Finanzinstrument künftig das Forderungsstatut anzuwenden (Art 4 Abs 2 lit b DrittwVO-Entwurf).31 Den Begriff "Barsicherheit" definiert Art 2 DrittwVO-Entwurf, wogegen bei "Kreditinstitut" auf die CRR bzw die CRD und bei "Finanzsicherheit" auf die MiFID II erwiesen wird. Ein Verweis auf bereits bestehende Unionsakte erscheint im Lichte der unionsweiten Harmonisierung zweckmäßig, wobei gerade der Umgang mit Finanzinstrumenten noch schlüssiger normiert werden sollte.
Anpassungen durch den Rat:
Während das EP bei den Ausnahmen bloß kleine sprachliche Änderungen vornahm, erweiterte der Rat die Ausnahmen zugunsten des Forderungsstatutes merklich - dies in Anpassung an den von ihm neu definierten Anwendungsbereich (s oben Abschnitt 3.1.). Der Rat spricht sich dafür aus, dass die DrittwVO zukunftsfähig sein soll, und bezieht daher auch Forderungen aus Kryptowerten und E-Geld mit ein - jedoch nur insoweit, als Kryptowerte nicht als übertragbare Wertpapiere, Geldmarktinstrumente oder Anteile an einem Organismus für gemeinsame Anlagen gelten.32 Denn gem der Mitteilung über das auf die dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht sollen Forderungen aus derartigen Finanzinstrumenten nicht von einer künftigen DrittwVO umfasst werden.33 Weder das EP noch der Rat konnten den Umgang mit Finanzinstrumenten im Rahmen einer künftigen DrittwVO anwenderfreundlich ausgestalten. Der Anwendungsbereich erschließt sich noch nicht optimal. Ua werden mittlerweile Kryptowerte im Rahmen der MiCAR34 definiert. Daher ist der DrittwVO-Entwurf in dieser Hinsicht veraltet und muss angepasst werden. Derzeit finden sich sehr zentrale Informationen teilweise nur in den ErwGr. Eine wünschenswerte Herangehensweise für den Umgang mit Finanzinstrumenten wäre, die Abgrenzungen des Wirkungsbereichs in den normativen Teil aufzunehmen und dies mit entsprechenden Beispielen und Ausführungen in den ErwGr zu konkretisieren.
Ergänzend fügte der Rat also Forderungen aus E-Geld (Art 4 Abs 2 lit a DrittwVO-Entwurf), Forderungen aus Finanzkontrakten und damit verbundenen Finanzsicherheiten und Saldierungsvereinbarungen hinzu (Art 4 Abs 2 lit b DrittwVO-Entwurf). Gänzlich neu wurden Forderungen aus Kryptowerten, die nicht als Finanzinstrument oder E-Geld gelten (Art 4 Abs 2 lit ba DrittwVO-Entwurf), Forderungen aus Transaktionen auf Finanzmärkten oder der Teilnahme an Finanzmarktinfrastrukturen (Art 4 Abs 2 lit c DrittwVO-Entwurf) und Forderungen aus Vereinbarungen, bei denen ein Kredit in Form eines Darlehens gewährt wird, aufgenommen (Art 4 Abs 2 lit d DrittwVO-Entwurf).
Für das Rechtsinstitut der Verbriefungen eröffnet der DrittwVO-Entwurf bereits eine Ausnahme in Form einer eingeschränkten Rechtswahlmöglichkeit, indem er dem Anwender freistellt, bei Forderungsübertragungen zu Verbriefungszwecken zwischen der Regelanknüpfung (Zedentenstatut) und dem Forderungsstatut zu wählen (Art 4 Abs 3 DrittwVO-Entwurf). Obschon eine Definition der Verbriefung im normativen Teil fehlt, enthält die Begründung des DrittwVO-Entwurfs dazu folgende Passage: "Durch Verbriefung kann der Zedent, der sogenannte ‚Originator‘ (zB ein Unternehmen oder eine Bank), Forderungen (zB Kraftfahrzeugmieten, Kreditkartenforderungen oder Hypothekenkreditzahlungen) refinanzieren, indem er sie einer Zweckgesellschaft (special purpose vehicle - SPV) überträgt. Die Zweckgesellschaft (Zessionar) gibt am Kapitalmarkt anschließend Schuldtitel (zB Anleihen) aus, die die Erlöse aus diesen Forderungen widerspiegeln. In dem Maße, wie die zugrunde liegenden Forderungen beglichen werden, verwendet die Zweckgesellschaft die eingehenden Mittel, um Zahlungen auf die Wertpapiere an die Investoren zu leisten." Diese Vorschriften sollen in der EU einen sicheren Verbriefungsmarkt wiederherstellen, indem zwischen einfachen, transparenten und standardisierten Verbriefungsprodukten einerseits und undurchsichtigeren und kostspieligeren Produkten andererseits unterschieden wird 35 Die Verbriefung ist günstiger als herkömmliche Bankdarlehen und deshalb ist die Schaffung von Rechtssicherheit in diesem Bereich ebenso zentral. ErwGr 28 DrittwVO-Entwurf verteidigt die Rechtswahl mit der Wahrung der derzeitigen Praxis von Großbanken und anderen Großunternehmen bei Verbriefungen, die aktuell darin besteht, die Drittwirkung einer Forderungsübertragung bei Verbriefungen dem Forderungsstatut zu unterwerfen, wenn es mehrere Zedenten (Originatoren der Forderungen) in verschiedenen Staaten gibt, aber alle Forderungen dem Recht desselben Staates - somit demselben Forderungsstatut - unterliegen.36
Anpassungen durch das Europäische Parlament und den Rat:
Eine Rechtswahlmöglichkeit wird einerseits für negativ befunden, weil selbst dann, wenn eine Rechtswahl bloß eingeschränkt zugestanden wird, dennoch eine gewisse Unsicherheit für Dritte bestehe und somit allein die Rechtswahlmöglichkeit die DrittwVO weniger attraktiv für potenzielle Dritte mache.37 Andererseits wird kritisiert, dass mit der Rücksichtnahme auf den Verbriefungs-Sektor "ein politischer Kompromiss" eingegangen werde.38 Zudem besteht in dieser Hinsicht eine Unstimmigkeit mit dem Insolvenzstatut. Die wohl wichtigste Änderung seitens des EP betraf deshalb die Entfernung der Rechtswahlmöglichkeit (Streichung des Art 4 Abs 3 DrittwVO-Entwurf). Damit entzog der Rechtsausschuss den Kritikern den Boden. Nunmehr kann die schwindende Rechtssicherheit für Dritte nicht mehr bemängelt werden.
Der Rat entschied sich für die Beibehaltung der Rechtswahlmöglichkeit in Art 4 Abs 3 DrittwVO-Entwurf, änderte die eingeschränkte Rechtswahlmöglichkeit in Art 4 Abs 3 DrittwVO-Entwurf aber mehrfach ab. Zum einen sieht der Rat in seinen Anpassungen vor, dass neben der Verbriefung auch die Emission gedeckter Schuldverschreibungen dem Forderungsstatut unterliegen kann. Schließlich weist diese Form der Emission gedeckter Schuldverschreibungen Ähnlichkeiten zur Verbriefung auf; soweit die Emission eine Übertragung von Forderungen umfasst, soll die gleiche Flexibilität gewährt werden.39 Zum anderen will der Rat ausdrücklich regeln, dass Rechtsanwender künftige Rechtswahlvereinbarungen - bei sonstiger Unwirksamkeit - ausdrücklich schriftlich festhalten müssen. Der Schriftform ist nach Ansicht des Rates eine elektronische Übermittlung gleichzustellen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglicht. In unserem digitalen Zeitalter ist eine Gleichstellung mit der Schriftform mE jedenfalls geboten.
Die Vorstellungen der Co-Gesetzgeber in Bezug auf den künftigen Anwendungsbereich divergieren. Inwieweit die von EP und Rat zusätzlich aufgebrachten Themenbereiche in die finale DrittwVO eingebunden werden, lässt sich derzeit aufgrund der unterschiedlichen Änderungsvorschläge und der ausständigen weiteren gesetzgeberischen Schritte nicht prognostizieren. Die vom EP vorgeschlagene Anwendung der DrittwVO im Bereich des Verbraucherschutzes würde die Anwendbarkeit der DrittwVO jedenfalls im B2C-Bereich außer Frage stellen; es wäre daher angebracht, diese umzusetzen. Den Umgang mit Finanzinstrumenten in der DrittwVO im Allgemeinen vermochten bislang weder das EP noch der Rat anwenderfreundlich oder verständlich auszugestalten; die Situation dahin gehend ist mE noch nicht zufriedenstellend. Man darf gespannt sein, inwieweit die Ausdehnung bzw Einschränkung des Anwendungsbereichs im Kompromissvorschlag vom November 2023 angepasst wird. Es bleibt zu hoffen, dass der jüngste Kompromisstext eine bessere Lösung in Bezug auf Finanzinstrumente bietet.
Nach Auseinandersetzung mit den einzelnen Ausnahmetatbeständen in Art 4 Abs 2 und Art 3 DrittwVO-Entwurf lässt sich rechtfertigen, dass sich die DrittwVO unter den Rechtsanwendern künftig noch größerer Beliebtheit erfreuen könnte, wenn neben den bestehenden noch zusätzliche Ausnahmen eingebaut würden. Dies hat der Rat ebenfalls erkannt und, wenn auch in etwas komplizierter Weise, umgesetzt. Bisher noch nicht bedacht wurden aber ua Kettenabtretungen, dh Abtretungen durch einen Zessionar auf einen weiteren Zessionar. Kettenabtretungen sind eine Schwachstelle in Bezug auf die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten. Um dies zu sanieren, wäre eine diesbezügliche Ausnahme zugunsten des Forderungsstatutes noch ratsam.
Die Ausgestaltung der Drittwirkungsproblematik in einer eigenen VO kann meiner Meinung nach nur dann gerechtfertigt werden, wenn sich die mit den Ausnahmen abgedeckten Interessen als berücksichtigungswürdig herausstellen. Falls keine Ausnahmen notwendig sind, wäre wohl eher den Kritikern der VO beizupflichten und eine Ergänzung der ROM I-VO als ausreichend anzusehen.40
Das geplante Mischmodell eignet sich gut für die Praxis, weil sich die zwei ohnehin favorisierten Anknüpfungsoptionen dahin gehend ergänzen, dass viele Anregungen aus unterschiedlichen Interessengruppen ernst genommen und bearbeitet werden. Die seit vielen Jahren bestehenden Differenzen zur Drittwirkungsanknüpfung, die schon bei der ROM I-VO zum Scheitern einer Drittwirkungsregelung geführt haben, beweisen, dass (Finanz-)Marktteilnehmer gewisse Ausnahmen erwarten, wenn der beabsichtigte Effekt einer Steigerung der Attraktivität von internationalen Forderungsübertragungen eintreten soll.
Die folgenden Ausführungen repräsentieren die persönliche Meinung der Autorin. Darin enthaltene Ansichten, Schlussfolgerungen oder Interpretationen spiegeln nicht zwangsläufig die offizielle Position einer bestimmten Institution wider. Zudem dankt die Autorin PD Dr. Thomas Stern für die sehr gute redaktionelle Zusammenarbeit.
Die sog Drittwirkung wird im aktuellen DrittwVO-Entwurf (s unten FN 8) unter Art 2 lit e definiert: "Die dingliche Wirkung, dh das Recht des Zessionars, eine auf ihn übertragene Forderung anderen Zessionaren oder Begünstigten derselben oder einer funktional gleichwertigen Forderung, den Gläubigern des Zedenten und anderen Dritten entgegenzuhalten."
Beim Forderungsstatut handelt es sich um das Recht, unter dem die Forderung zwischen Gläubiger (Zedent) und Schuldner ursprünglich begründet wurde.
Code de droit international privé.
Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht2 Rz 4/163 und 6/29; Mangold, Die Abtretung im Europäischen Kollisionsrecht 87 ff; Bericht der Kom an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Frage, ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegengehalten werden kann, vom 29. 9. 2016, KOM(2016) 626 endg, 7.
VO (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl L 2008/177, 6.
Art 14 Abs 1: "Das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar aus der Übertragung einer Forderung gegen eine andere Person (‚Schuldner‘) unterliegt dem Recht, das nach dieser Verordnung auf den Vertrag zwischen Zedent und Zessionar anzuwenden ist." Art 14 Abs 2: "Das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt, bestimmt ihre Übertragbarkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner."
Urteil 9. 10. 2019, C-548/18, BGL BNP Paribas, ECLI:EU:C:2019:848, aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des OLG Saarbrücken.
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht vom 12. 3. 2018, KOM [2018] 96, endg.
Erste Lesung des Europäischen Parlaments zum DrittwVO-Entwurf vom 20. 2. 2019, Dok 6217/19.
Bericht über die 4. und 5. technische Sitzung mit dem EP und Kompromissvorschläge vom 18. 2. 2022, Dok 6282/22, 2 ff; Überblick über die aktuellen Legislativvorschläge des spanischen Ratsvorsitzes vom 29. 11. 2023, Dok 15734/23, 2.
Allgemeine Ausrichtung des Rates vom 28. 5. 2021, gebilligt durch den AStV am 7. 6. 2021, Dok 9050/21.
Dok 15734/23, 2.
Dok 15734/23, 2.
Dieser Begriff wird im DrittwVO-Entwurf nicht definiert.
VO (EU) 2015/848 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. 5. 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung), ABl L 2015/141, 19.
Art 2 Z 1 EuInsVO: "Ein Verfahren, an dem alle oder ein wesentlicher Teil der Gläubiger des Schuldners beteiligt sind, vorausgesetzt, dass im letzteren Fall das Verfahren nicht die Forderungen der Gläubiger berührt, die daran beteiligt sind."
Centre of main interests.
Einsele, Die Drittwirkung von Forderungsübertragungen im Kollisionsrecht - ein kritischer Zwischenruf zum Verordnungsvorschlag der Kommission, IPRax 2019, 477 (479); Mankowski, Der Kommissionsvorschlag zum Internationalen Privatrecht der Drittwirkung von Zessionen, RIW 2018, 488 (492); Stellungnahme des Deutschen Factoringverbands e.V. vom 30. 5. 2018 an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2.
Dok 6217/19, Abänderungen Nr 6, 7, 16, 17.
Cap/Klingler, Vorschlag für eine Verordnung über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht - ein Überblick, ZFR 2019, 229 (231 f); Stellungnahme EWSA zu COM 2018(96) endg 2.1 ff; Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft vom 24. 4. 2020, 2 f.
Forderungen aus Finanzinstrumenten iSd MiFID II; als Exempel für eine Forderung aus einem Finanzinstrument wird in der Begründung des DrittwVO-Entwurfs der Betrag, der nach Berechnung des Close-out bei einem Derivatkontrakt zu zahlen ist, angegeben.
So auch Cap/Klingler, ZFR 2019, 229 (233).
Engl: assignment contract.
Mankowski, RIW 2018, 488 (494).
Eigene Hervorhebung.
De Visser, NIPR 2018, 711 (723).
Statt relativ auf die zuerst wirksam gewordene Zession abzustellen, wie dies aus der englischen Fassung hervorgeht, wird in der deutschen Fassung absolut bzw starr auf die erste Übertragung abgestellt.
Vgl Einsele, IPRax 2019, 477 (481).
Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr 19/2018, 4.
Einsele, IPRax 2019, 477 (480); Müller, EuZW 2018, 522 (526).
Forderungen aus Finanzinstrumenten iSd MiFID II, vgl FN 21.
Dok 9050/21; ErwGr 16, 16bis und 27bis.
Mitteilung der Kom an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über das auf ihre dingliche Wirkung von Wertpapiergeschäften anzuwendende Recht, KOM(2018) 89 endg; vgl auch Heindler, Das auf Rechte an Finanzinstrumenten anwendbare Recht, ZFR 2019, 98 (98).
VO über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der VO (EU) 1093/2010 und (EU) 1095/2010 sowie der RL 2013/36/EU und (EU) 2019/1937.
COM(2018) 96 final, 3.
Beispiel: Erwirbt eine Zweckgesellschaft von mehreren Zedenten, wohnhaft in unterschiedlichen Staaten, verschiedene Forderungen und grenzt den Erwerb insoweit ein, als nur Forderungen erworben werden, die demselben Recht unterstehen, ist das Forderungsstatut für die SPV vorteilhaft. Erwirbt die Zweckgesellschaft aber mehrere Forderungen, die unterschiedlichen Rechten unterstehen, von nur einem Zedenten, ist die Regelanknüpfung an den Zedentensitz günstiger.
Einsele, IPRax 2019, 477 (480 f); Mankowski, NIPR 2018, 26 (37 ff); ders, RIW 2018, 488 (498).
Mankowski, RIW 2018, 488 (498).
Dok 9050/21, ErwGr 28 (neu).
Kritisch ua Hemler, Der Verordnungsvorschlag über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, GPR 185 (191); Mankowski, RIW 2018, 488 (501); Stellungnahme Deutscher Anwaltverein Nr 19/2018, 4 ff.