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Durch die neue EU-Prospekt-VO wird mit dem Prospektrecht ein weiteres wichtiges kapitalmarktrechtliches Thema künftig in einer in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren EU-Verordnung geregelt. Damit gehen zahlreiche spannende rechtliche Aspekte einher.
Die VO (EU) 2017/11291 ("Prospekt-VO") legt die Anforderungen an die Erstellung, Billigung und Verbreitung des Prospekts fest, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren2 oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zu veröffentlichen ist (Art 1 Abs 1 Prospekt-VO).3 Ziel ist es, Anlegerschutz und Markteffizienz sicherzustellen und gleichzeitig den Kapitalbinnenmarkt zu stärken (ErwGr 7 Prospekt-VO).
Die Prospekt-VO ist seit Mitte 2017 in Kraft und gilt in weiten Teilen ab 21. 7. 2019. Einzelne Bestimmungen gelten allerdings bereits seit 20. 7. 2017, manche ab 21. 7. 2018. Die Prospekt-VO ersetzt die derzeit geltende RL 2003/71/EG4 ("Prospekt-RL"), die in Österreich im Wesentlichen im KMG und im BörseG umgesetzt ist.
Die nachfolgende Untersuchung nimmt ausgewählte rechtlich interessante Aspekte der Prospekt-VO in den Fokus. Vorauszuschicken ist, dass EU-Verordnungen wie die Prospekt-VO als sekundäres Unionsrecht in Österreich nicht nur unmittelbar anwendbar sind, sondern vollumfänglich autonome Geltung haben.5 Entsprechend bestimmen sich ihre Wirkungen ausschließlich nach den eigenen Kriterien des Unionsrechts, was auch für die Auslegung bedeutend ist.6 Ausgangspunkt jeder Interpretation ist freilich auch im Unionsrecht der Wortlaut.7 Auslegungsbedürftige Begriffe sind jedoch autonom, also ohne Rücksicht auf ein Verständnis des fraglichen Begriffs in einem Mitgliedstaat, auszulegen.8 Zudem misst der EuGH der an Sinn und Zweck orientierten Interpretation große Bedeutung zu.9
Die Prospekt-VO ist eine von vielen Maßnahmen des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Kapitalmarktunion, die auf eine Vertiefung und stärkere Integration der Kapitalmärkte in den Mitgliedstaaten abzielen. Sie ist auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insb dessen Art 114, gestützt. Diese Bestimmung berechtigt den Unionsgesetzgeber Verordnungen zu erlassen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Bezweckt wird die Beseitigung von für den Binnenmarkt schädlichen Unterschieden nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten durch Rechtsangleichung.10 Regelt die Union auf Basis von Art 114 AEUV eine Materie, bestehen für Mitgliedstaaten im vom Unionsrecht abgedeckten Bereich nur mehr insoweit Spielräume, als dies im rechtsangleichenden Rechtsakt vorgesehen ist11 (ansonsten Sperrwirkung; zu den sehr eingeschränkten Ausnahmen hiervon siehe Art 114 Abs 4 und 5 AEUV).
Die gewählte Regelungsmethode hat also bereits Indizwirkung dafür, dass das materielle Recht prinzipiell vollharmonisiert werden soll.12 Aussagen in den Erwägungsgründen, die bei der Beurteilung des Harmonisierungsgrads eine wichtige Rolle spielen,13 stützen dieses Ergebnis (siehe etwa ErwGr 3, 4, 5 und 83). Allenfalls verbleibende Zweifel lassen sich mit einem Blick auf die Regelungssystematik beseitigen. Die Prospekt-VO enthält
an einigen Stellen Ermächtigungen für die Mitgliedstaaten, in der Prospekt-VO nicht vorgesehene Rahmenbedingungen vorzuschreiben oder strengere Vorgaben zu machen (siehe etwa Art 7 Abs 7 UAbs 2 Satz 2 oder Art 38 Abs 3 Prospekt-VO). Dürften die Mitgliedstaaten - wie bei Mindestharmonisierung der Fall - generell über die Vorgaben der Prospekt-VO hinaus Pflichten für die Rechtsunterworfenen vorsehen oder strengere Regelungen erlassen, bedürfte es keiner solchen Ermächtigung.
Vor diesem Hintergrund ist mE klar, dass materiell-rechtliche Regelungen der Prospekt-VO prinzipiell Vollharmonisierung bezwecken.14 Abweichende innerstaatliche Vorgaben sind im Anwendungsbereich der Prospekt-VO daher nur zulässig, wenn die Prospekt-VO selbst dies ausdrücklich erlaubt. Das gilt sowohl für weniger strenge als auch für strengere oder zusätzliche nationale Normen.
Die Prospekt-VO regelt, wie eingangs erwähnt, Anforderungen an die Erstellung, Billigung und Verbreitung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt in einem Mitgliedstaat zu veröffentlichen ist. Die Verordnung bzw die Prospektpflicht gelten natürlich nicht für sämtliche Arten von Angeboten und Wertpapieren. Vielmehr sind Ausnahmen in zweierlei Hinsicht vorgesehen: Zum einen definiert die Prospekt-VO bestimmte Angebote und Arten von Wertpapieren, die überhaupt von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind (siehe Art 1 Abs 2 und 3). Zum anderen gibt es Ausnahmen "bloß" von der Prospektpflicht, und zwar gesonderte (sich inhaltlich freilich teilweise überschneidende) Ausnahmen von der Prospektpflicht bei öffentlichen Wertpapierangeboten (Art 3 Abs 4 Prospekt-VO) und bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt (Art 3 Abs 5 Prospekt-VO). Nachfolgend werden die Ausnahmen vom Anwendungsbereich näher durchleuchtet.
Die derzeit geltende Prospekt-RL nimmt Angebote mit einem Gesamtgegenwert von weniger als 5,000.000 € (ursprünglich: 2,500.000 €) von ihrem Anwendungsbereich aus. Diese Obergrenze ist, wie sämtliche anderen nachfolgend erwähnten Obergrenzen, über einen 12-Monats-Zeitraum zu berechnen (was zwecks besserer Lesbarkeit nachfolgend nicht jedes Mal wiederholt wird). Österreich hat bei der nationalen Umsetzung im KMG von dieser "Wertausnahme" lange keinen Gebrauch gemacht, wodurch bis vor Kurzem lediglich Kleinstangebote mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 250.000 € nicht prospektpflichtig waren (für diese sieht § 3 Abs 1 Z 10 KMG eine Prospektausnahme vor). Erst 2015 wurde die Ausnahme - dann aber vollständig - genutzt und statt des Prospekts gemäß Prospekt-RL (bzw der Prospektschemaverordnung)15 für Angebote mit einem Gesamtgegenwert von weniger als 5,000.000 € ein vereinfachter Prospekt (Anl F zum KMG) vorgeschrieben (siehe § 7 Abs 8a KMG).
Die Prospekt-VO sieht künftig zweierlei vor: Mitgliedstaaten können beschließen, (rein nationale) öffentliche Angebote bis zu einem Gesamtgegenwert von 8,000.000 € von der Prospektpflicht gemäß Prospekt-VO auszunehmen (Art 3 Abs 2 Prospekt-VO). Und ganz generell ist die Prospekt-VO auf Wertpapierangebote mit einem Gesamtgegenwert in der Union von weniger als 1,000.000 € nicht anwendbar (Art 1 Abs 3 UAbs 1). Auf solche Kleinangebote dürfen die Mitgliedstaaten die Prospekt-VO auch nicht freiwillig ausdehnen. Spezielle nationale Offenlegungspflichten für Kleinangebote sind zwar zulässig, dies allerdings nur, sofern sie die Emittenten nicht "unverhältnismäßig oder unnötig belasten" (Art 1 Abs 3 UAbs 2 Prospekt-VO). An dieser Vorgabe ist auch der vereinfachte Prospekt gem § 7 Abs 8a KMG zu messen, der wie gesagt derzeit für alle prospektpflichtigen Angebote mit einem Angebotsvolumen von unter 5,000.000 € zu erstellen ist (wenn nicht überhaupt ein Informationsblatt nach AltFG ausreicht).16
Schema F KMG sieht für vereinfachte Prospekte, geteilt in sechs Kapitel, 28 zwingende Informationsbestandteile vor. Verlangt werden zahlreiche Angaben über die Wertpapiere und den Emittenten. Der Prospekt bedarf (im hier relevanten Fall von Wertpapierangeboten) der Billigung durch die FMA. Der Billigung geht ein teures, aufwendiges und langwieriges Verwaltungsverfahren voraus. Ein Umfang von 30-50 Seiten ist bei vereinfachten Prospekten - wohl auch getrieben durch Berater- und Behördenpraxis - eher die Regel als die Ausnahme. Sind derartige Vorgaben "unverhältnismäßig"17 iSv Art 1 Abs 3 UAbs 2 Prospekt-VO und damit für Angebote unter 1,000.000 € künftig unzulässig?
Weder die Prospekt-VO noch die Erwägungsgründe geben genauere Hinweise, was "unverhältnismäßig" sein könnte. Im Unionsrecht begegnet man dem Begriff der "Verhältnismäßigkeit" aber bekanntlich, wenn es um Eingriffe in die Grundfreiheiten geht. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, bezogen auf Handlungen von Unionsorganen, judiziert der EuGH, dass die Grenzen dessen nicht überschritten werden dürfen, was zur Erreichung des mit einer Regelung zulässigerweise verfolgten Ziels
geeignet und erforderlich ist; dabei sei auch zu beachten, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen.18 Diese Maßstäbe sind mE auch an die Ermächtigung des nationalen Gesetzgebers gem Art 1 Abs 3 UAbs 2 Prospekt-VO anzulegen, zumal Maßnahmen der Kapitalmarktunion den freien Kapitalverkehr, also eine der vier Grundfreiheiten, fördern sollen.
Geeignet zur Zielerreichung (Anlegerschutz) mag der vereinfachte Prospekt gem § 7 Abs 8a KMG vielleicht sein. Interessanter wird es bei der "Erforderlichkeit". Der nationale Gesetzgeber selbst kommt bei bestimmten Emittenten und bestimmten Finanzinstrumenten bis zu einem Angebotsvolumen von weniger als 1,500.000 € mit im Vergleich zum vereinfachten Prospekt deutlich weniger Offenlegungspflichten aus und verzichtet sogar auf eine Billigung durch die FMA: nämlich im Anwendungsbereich des AltFG für KMU,19 die Geschäftsanteile an Kapitalgesellschaften (nicht allerdings: Aktien) oder Genossenschaften, Genussrechte, stille Beteiligungen oder Nachrangdarlehen anbieten (siehe §§ 2-3 AltFG). Dabei handelt es sich weder um besonders wenig ausfallsgefährdete Emittenten noch um besonders sichere Finanzinstrumente. Im Gegenteil: Das AltFG wird gern von Jungunternehmen in sehr frühen Unternehmensstadien genutzt, die häufig weder über ein fertiges Produkt bzw erprobtes Geschäftsmodell verfügen, noch nennenswerte Umsätze (und schon gar keine Gewinne) erzielen, und sich mit Finanzinstrumenten finanzieren, die den Anlegern bloß eine (qualifiziert) nachrangige Gläubigerstellung gewähren.
Dies kann nur bedeuten: Für Angebotsvolumina unter der Schwelle des Art 1 Abs 3 UAbs 1 Prospekt-VO stehen jedenfalls andere geeignete Maßnahmen zur Verfügung, welche die Rechtsunterworfenen aber deutlich weniger belasten. Der österr Gesetzgeber bezeichnet die Transparenz- und Anlegerschutzanforderungen nach AltFG sogar selbst ausdrücklich als "notwendiges Mindestmaß".20 Der vereinfachte Prospekt kann vor diesem Hintergrund einer unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung mE schon deswegen nicht standhalten, weil er von mehreren geeigneten Maßnahmen nicht die am wenigsten belastende (und somit nicht erforderlich) ist.
Bedenkt man, dass mit dem vereinfachten Prospekt für die Betroffenen in aller Regel deutlich fünfstellige Euro-Beträge an Kosten entstehen und man mit zwei bis drei Monaten Vorbereitungs-/Vorlaufzeit rechnen muss, ist freilich auch fraglich, ob der vereinfachte Prospekt für Angebotsvolumina unter 1,000.000 € nicht zudem auch außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen steht.
Vor diesem Hintergrund wäre der vereinfachte Prospekt für Wertpapierangebote unter 1,000.000 € mE künftig unionsrechtswidrig. Im Sinne des auf europäischer wie auf nationaler Ebene kommunizierten Anliegens, Kapitalmarktfinanzierungen gerade im kleinvolumigen Bereich zu vereinfachen, und unter Berücksichtigung des Anliegens der neuen BReg, das Rechtssystem zu vereinfachen, erstattet der Verfasser hiermit einen gleichermaßen einfachen wie auch sachgerechten Vorschlag für eine Neuregelung: Für alle Emittenten und Finanzinstrumente gilt bis zu einem Angebotsvolumen (über einen 12-Monats-Zeitraum berechnet)
- | von weniger als 1,500.000 € eine Offenlegungspflicht in Form eines Informationsblatts (wie derzeit im AltFG vorgesehen); |
- | von 1,500.000 € bis 8,000.000 € vereinfachte Prospektpflicht21 und |
- | über 8,000.000 € Prospektpflicht gemäß Prospekt-VO (bzw im Fall von Veranlagungen gemäß KMG).22 |
Abschließend ist zu betonen, dass der österr Gesetzgeber hier rasch handeln muss: Art 1 Abs 3 und Art 3 Abs 2 Prospekt-VO gelten bereits ab 21. 7. 2018 (Art 49 Abs 2 Prospekt-VO).23 § 7 Abs 8a KMG in seiner derzeit geltenden Fassung wäre mE ab diesem Zeitpunkt teilweise unionsrechtswidrig (nämlich insoweit, als er für Angebotsvolumina unter 1,000.000 € vorgeschrieben ist) und daher aufgrund des Anwendungsvorrangs von Unionsrecht teilweise unanwendbar.
Die hier interessierenden Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Prospekt-VO24 für bestimmte Arten von Wertpapieren unterscheiden sich nicht wesentlich von der diesbezüglichen Bestimmung in der Prospekt-RL (siehe Art 1 Abs 2). Anders als die künftig geltende Prospekt-VO musste die Prospekt-RL aber in nationales Recht umgesetzt werden, was der österr Gesetzgeber betreffend öffentliche Angebote im KMG machte. Dabei hat er generell davon abgesehen, bestimmte Arten von Wertpapieren komplett vom Anwendungsbereich auszunehmen, sondern lediglich Ausnahmen von der Prospektpflicht vorgesehen.25 Außer-
dem wurden zwei in der Prospekt-RL vorgesehene Ausnahmen vom Anwendungsbereich auf nationaler Ebene nicht einmal von der Prospektpflicht ausgenommen: "Wertpapiere, die von Vereinigungen mit Rechtspersönlichkeit oder von von einem Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen ohne Erwerbscharakter zum Zweck der Mittelbeschaffung für ihre nicht erwerbsorientierten Zwecke ausgegeben werden" (jeweils Art 1 Abs 2 lit e Prospekt-VO und Prospekt-RL) und "nichtfungible Kapitalanteile, deren Hauptzweck darin besteht, dem Inhaber das Recht auf die Nutzung einer Wohnung oder anderen Art von Immobilien oder eines Teils hiervon zu verleihen, wenn diese Anteile ohne Aufgabe des genannten Rechts nicht weiterveräußert werden können" (Art 1 Abs 2 lit f Prospekt-VO und Art 1 Abs 2 lit g Prospekt-RL) sind derzeit prinzipiell also prospektpflichtig.
Bei der letztgenannten Ausnahme denkt man an Anteile an Wohnbau-Genossenschaften. Solche Anteile sind aber nicht "auf dem Kapitalmarkt handelbar" und deswegen mE ohnehin keine Wertpapiere iSd Prospekt-VO. Die erstgenannte Ausnahme scheint dagegen praxisrelevanter und könnte in Österreich etwa für von gemeinnützigen Vereinen, Stiftungen etc angebotene Wertpapiere relevant sein.
Hier knüpft eine spannende Frage an: Kann Österreich von der unmittelbar anwendbaren Prospekt-VO ausgenommene Arten von Wertpapieren auch künftig auf nationaler Ebene dem europäischen Prospektregime unterwerfen? Dann müsste in einem nationalen Rechtsakt bestimmt werden, dass Art 1 Abs 2 lit e und f Prospekt-VO, die ja unmittelbar anwendbar sein werden, in Österreich doch nicht gelten. Der mE vollharmonisierende Charakter der Prospekt-VO (siehe dazu Punkt 2.) spricht klar dagegen. Man könnte hier freilich argumentieren, der europäische Gesetzgeber sage bei der in Punkt 3.2. beschriebenen Wertausnahme ausdrücklich dazu, dass niedrigvolumigere Angebote von den Mitgliedstaaten nicht der Prospekt-VO unterworfen werden dürfen (Art 1 Abs 3 UAbs 2 Satz 1 Prospekt-VO), bei den ausgenommenen Arten von Wertpapieren fehle eine solche Anordnung dagegen. Die Anordnung in Art 1 Abs 3 UAbs 2 Satz 1 hat aber mE nur klarstellenden Charakter und dient als Einleitung für den zweiten Satz, nämlich die (ausnahmsweise) Erlaubnis, in einem prinzipiell ausgenommenen Bereich nationale Offenlegungspflichten vorzusehen (wenn diese, wie in Punkt 3.2. gezeigt, keine unverhältnismäßige oder unnötige Belastung bringen). Eine Opting-in-Ermächtigung für die aus dem Anwendungsbereich der Prospekt-VO ausgenommenen Arten von Wertpapieren fehlt in der Prospekt-VO und mE sprechen - auch anhand der klaren Regelungsziele der Prospekt-VO, einen unionsweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen - die besseren Gründe dafür, hier keine nationalen Alleingänge mehr zuzulassen.
Die Prospekt-VO enthält wie erwähnt einen Katalog von Ausnahmen, bei deren Vorliegen die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt keines Prospekts bedarf (Art 1 Abs 5). Einen ähnlichen Katalog enthält derzeit - basierend auf der Prospekt-RL - das BörseG in § 47. Drei in der Prospekt-VO definierte Ausnahmen gelten bereits seit Mitte 2017. Keines Prospekts bedarf demnach die Zulassung folgender Instrumente zum Handel an einem geregelten Markt:
- | Wertpapiere, die mit bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind, sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Wertpapiere ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind (Art 1 Abs 5 lit a Prospekt-VO) |
- | Aktien, die aus der Umwandlung oder dem Eintausch anderer Wertpapiere oder aus der Ausübung der mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechte resultieren, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung wie die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassenen Aktien handelt und sofern sie über einen Zeitraum von 12 Monaten weniger als 20 % der Zahl der Aktien derselben Gattung ausmachen, die bereits zum Handel am selben geregelten Markt zugelassen sind (Art 1 Abs 5 lit b Prospekt-VO)26 |
- | Wertpapiere, die aus der Umwandlung oder dem Tausch anderer Wertpapiere, Eigenmittel oder anrechnungsfähiger Verbindlichkeiten durch eine Abwicklungsbehörde aufgrund der Ausübung einer Befugnis gemäß BRRD27 resultieren (Art 1 Abs 5 lit c Prospekt-VO) |
Die hier letztgenannte Ausnahme findet sich erstmals in einer Kodifikation und ist im BörseG nicht enthalten. Die Ausnahme gem Art 1 Abs 5 lit a Prospekt-VO fand sich ursprünglich auch im BörseG 2018 (in § 47 Abs 1 Z 1), allerdings umfänglich beschränkt auf 10 %. Diese (einschränkendere) nationale Vorgabe wurde mit einer Novelle aus dem BörseG 201828 entfernt, bevor das BörseG 2018 überhaupt in Kraft trat. Dagegen findet sich eine mit Art 1 Abs 5 lit b Prospekt-VO vergleichbare, aber im Detail abweichende Bestimmung nach wie vor im BörseG 2018: Gem § 47
Abs 1 Z 7 ist kein Zulassungsprospekt erforderlich für "Aktien, die bei der Umwandlung oder beim Tausch von anderen Wertpapieren oder infolge der Ausübung von mit anderen Wertpapieren verbundenen Rechten ausgegeben werden, sofern es sich dabei um Aktien derselben Gattung handelt wie die Aktien, die bereits zum Handel an demselben geregelten Markt zugelassen sind". Die Bestimmung ist also mit jener (bereits unmittelbar anwendbaren) Bestimmung in der Prospekt-VO im Wesentlichen ident, einzige Ausnahme: Die Prospekt-VO ist strenger und sieht eine umfängliche Begrenzung auf 20 % über einen 12-Monats-Zeitraum vor. Weshalb § 47 Abs 1 Z 7 BörseG nicht auch aufgehoben wurde, ist unverständlich, zumal Art 1 Abs 5 UAbs 2 Prospekt-VO auch eine sachgerechte Übergangsregel für vor 20. 7. 2017 emittierte Papiere kennt (siehe FN 24). § 47 Abs 1 Z 7 BörseG ist mE in seinem über Art 1 Abs 5 lit b Prospekt-VO hinausgehenden Teil unionsrechtswidrig und insofern unanwendbar.
Im Zuge der (vollständigen) Anwendbarkeit der Prospekt-VO Mitte 2019 wird eine umfassende Bereinigung von KMG und BörseG 2018 erforderlich. Aus dem KMG werden - grob vereinfacht - betreffend Wertpapierangebote jene Bestimmungen entfernt werden müssen, die in Umsetzung der Prospekt-RL aufgenommen wurden (diese Inhalte sind ja künftig unmittelbar anwendbar in der Prospekt-VO enthalten). Im BörseG 2018 werden etwa die §§ 46 f entfallen (müssen).
Aufgrund des vollharmonisierenden Charakters der Prospekt-VO (siehe dazu Punkt 2.) sind ab Mitte 2019 aber auch über die Vorgaben der Prospekt-VO hinausgehende nationale Bestimmungen unzulässig, insoweit sie Wertpapiere betreffen. Nationale Relikte wie das besondere Rücktrittsrecht für Verbraucher (§ 5 KMG) und die Emissionskalendermeldung (§ 13 KMG) sind daher (zumindest betreffend Wertpapierangebote) aus dem KMG zu entfernen. Auch an der künftigen Zulässigkeit (und Sinnhaftigkeit) der Hinterlegung von Wertpapierprospekten bei der OeKB als Meldestelle (§ 12 KMG) zweifle ich, weil diese Rolle künftig der ESMA zukommen soll. ESMA hat einen Mechanismus für die zentrale Speicherung von Prospekten zur Verfügung zu stellen, welcher - im Gegensatz zur OeKB - einen kostenfreien Zugang und eine angemessene Suchfunktion zu enthalten hat (ErwGr 63 Prospekt-VO). Zudem ist eine Hinweisbekanntmachung, wie sie derzeit § 10 Abs 4 KMG vorschreibt, künftig auf europäischer Ebene nicht vorgesehen und darf wohl auch nicht mehr national geregelt werden.
Die Prospekt-VO bringt auch durchaus beachtliche inhaltliche Änderungen, etwa neue Arten von Prospekten sowie deutliche Änderungen bei Prospektzusammenfassung29 und Risikofaktoren. Vieles ist hier im Detail auf der Ebene von (noch zu erlassenden) Level II-Rechtsakten zu regeln30 und bleibt einem gesonderten Beitrag vorbehalten.
Durch die neue Prospekt-VO wird ein weiterer wichtiger Teil des Kapitalmarktrechts - mit wenigen Ausnahmen - unionsweit vollharmonisiert. Der österr Gesetzgeber muss zentrale kapitalmarktrechtliche Gesetze wie KMG und BörseG 2018 an die neuen Gegebenheiten anpassen. Wichtig wird sein, den nationalen Normenbestand sorgfältig zu bereinigen, um zusätzliche Belastungen für die inländischen Marktteilnehmer und somit Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Eine rasche Anpassung des Prospektregimes im in Punkt 3.2. beschriebenen Sinn wäre eine wertvolle Maßnahme, die vor allem KMU die ersten Gehversuche am Kapitalmarkt erleichtern würde, ohne dass es dadurch zu einem spürbaren Verlust beim Anlegerschutz käme.
VO (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 6. 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, und zur Aufhebung der RL 2003/71/EG.
Gemeint sind übertragbare Wertpapiere iSv Art 4 Abs 1 Z 44 MiFID II mit Ausnahme von Geldmarktinstrumenten iSv Art 4 Abs 1 Z 17 MiFID II mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten (Art 2 lit a) Prospekt-VO). Darunter fallen etwa Aktien, Aktien gleichzustellende Wertpapiere (inklusive Aktienzertifikaten), Schuldverschreibungen und andere verbriefte Schuldtitel sowie alle Wertpapiere, die zum Kauf oder Verkauf der vorgenannten Wertpapiere berechtigen.
Das österreichische Regime für sonstige Veranlagungen (siehe die Definition in § 1 Abs 1 Z 3 KMG) wird durch die Prospekt-VO nicht beeinträchtigt.
RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 11. 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der RL 2001/34/EG.
Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht - Die Anwendung des Europarechts im innerstaatlichen Bereich6 (2017) 57 f.
Griller in Aicher/Holoubek/Korinek (Hrsg), Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht (2000) 60 f; Handstanger, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte des Unionsrechts, in Gedenkschrift Walter (2013) 156.
Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 (2016) § 9 Rz 170.
Klamert, EU-Recht (2015) 52.
Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 § 9 Rz 168, 176; ähnlich Klamert, EU-Recht 364, 380.
Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 § 32 Rz 12; Beiser/Zorn in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 114 AEUV Rz 13 ff (Stand 1. 5. 2010, rdb.at).
Eilmansberger/Jaeger in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 4 AEUV Rz 1 ff (Stand 1. 12. 2012, rdb.at); Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 § 32 Rz 15; Streinz in Streinz, EUV/AEUV2 Art 4 Rz 39.
Ebenso zur - insofern vergleichbaren - VO (EU) 1286/2014 Wilfling, Ausgewählte rechtliche Aspekte der PRIIP-Verordnung, ZFR 2017, 526.
Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 141 ff.
Ähnlich Schulz, Die Reform des Europäischen Prospektrechts - Eine Analyse der geplanten Prospektverordnung und ihrer Praxisauswirkungen, WM 2016, 1417.
VO (EG) 809/2004 der Kommission vom 29. 4. 2004 zur Umsetzung der RL 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung.
Als "unnötig" (Art 1 Abs 3 UAbs 2 Satz 2 Fall 2 Prospekt-VO) iSv "keinerlei Nutzen/Vorteil bringend" wird man den vereinfachten Prospekt als behördlich geprüftes Informationsdokument für Anleger wohl nicht bezeichnen können.
Siehe etwa EuGH C-283/11 Rn 50 mwN aus der Rsp.
Generell scheint die Wahl der zulässigen alternativen Finanzinstrumente in § 2 Z 2 AltFG ziemlich willkürlich und ein sachlicher Grund für die freundlichere Behandlung etwa von Nachrangdarlehen gegenüber Anleihen, die in der typischen Ausgestaltung eine bessere Gläubigerstellung vermitteln als Nachrangdarlehen, ist nicht ersichtlich.
Siehe ErlRV 628 BlgNR 25. GP 1.
Der vereinfachte Prospekt taugt freilich nur für rein nationale Angebote und nicht für die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt. Wer Wertpapierangebote auch in anderen Mitgliedstaaten unterbreiten will, kann freiwillig einen Prospekt gemäß Prospekt-VO erstellen und die Notifizierung durch die FMA in andere Mitgliedstaaten beantragen (siehe Art 4 Prospekt-VO). Wer für seine Wertpapiere eine Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt bekommen will, muss zwingend einen Prospekt gemäß EU-Prospekt-VO erstellen.
Dem Vernehmen nach stellt der österr Gesetzgeber derzeit ähnliche Überlegungen an. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags jedoch noch nicht veröffentlicht.
Siehe dazu bereits Wolfbauer, Prospekt-VO im ABl veröffentlicht, ZFR 2017, 361.
Zu den Ausnahmen siehe Art 1 Abs 2 Prospekt-VO.
Das gilt etwa für (i) Wertpapiere des Bundes, der Länder und der OeNB sowie von diesen garantierte Papiere, (ii) Nichtdividendenwerte, die von einem EWR-Vertragsstaat oder dessen Gebietskörperschaften ausgegeben oder garantiert werden, (iii) Nichtdividendenwerte von internationalen Organisationen des öffentlichen Rechts, denen Österreich angehört, und der EZB, (iv) bestimmte Nichtdividendenwerte von Kreditinstituten und (v) bestimmte Fondsanteile (siehe im Detail § 3 Abs 1 Z 1-4 KMG).
Die Einschränkung auf 20 % gilt jedoch ua dann nicht, wenn bereits beim öffentlichen Angebot oder bei der Zulassung der umzutauschenden Papiere ein Prospekt erstellt wurde oder wenn die Papiere, die Zugang zu Aktien verschaffen, vor dem 20. 7. 2017 begeben wurden.
RL 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 5. 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der RL 82/891/EWG des Rates, der RL 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der VO (EU) 1093/2010 und (EU) 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates.
Siehe BGBl I 2017/149.
Siehe dazu etwa Zivny, Wesentliche Inhalte des Vorschlags einer neuen Prospektverordnung, ZFR 2016, 149; Rath, Änderungen der Prospekt-RL - der Kommisionsvorschlag zur neuen Prospektverordnung, ecolex 2016, 173 f; Rath, Prospekt-RL III - Das Ende naht! ecolex 2017, 264.
Zum Stand des derzeit laufenden Konsultationsverfahrens siehe https://www.esma.europa.eu/sections/prospectus (letzter Abruf 13. 3. 2018).