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Kürzlich ist der Final Report der ESMA zum (in Art 38 vorgezeichneten) Review der MAR erschienen.1 Dieser basiert bekanntlich auf einem umfangreichen Konsultationsverfahren, in welchem nicht weniger als 97 Stellungnahmen abgegeben wurden.2 Auch deswegen umfasst der Bericht der ESMA letztlich 276 Seiten. Nachfolgend erörtern wir einige für die Finanzbranche interessante Aspekte:3
Die zentrale Definition "Insiderinformation" in Art 7 Abs 1 lit a MAR soll unverändert bleiben. Sie sei laut ESMA weit genug, um Marktmissbrauch zu verhindern, und verbindlich genug ("sufficiently prescriptive"), um Emittenten die Einordnung als Insiderinformation in den meisten Fällen zu ermöglichen. Damit einher geht eine eindeutige Absage an die zuletzt wieder öfter propagierte Anknüpfung an unterschiedliche Definitionen für Insiderhandel und Ad-hoc-Meldepflicht (Einführung einer "Insiderinformation light").4 Ein solches Konzept war bereits in einem ursprünglichen MAR-Kommissionsvorschlag5 enthalten, wurde aber bereits damals wegen (angeblich) daraus resultierender Rechtsunsicherheit und Compliance-Kosten verworfen. ESMA stellt aber zumindest Level-3-Guidance zu diversen Aspekten der Insiderinformations-Definition in Aussicht.
ESMA hat sich iZm der Insiderinformations-Definition über die Basisdefinition hinaus aber auch mit zwei Spezialkonstellationen iZm Kundenhandel beschäftigt, nämlich mit Front Running und Pre-Hedging.6
ESMA ist der Ansicht, dass Front Running nach Art 7 Abs 1 lit d MAR künftig auch in Fällen vorliegen soll, in denen keine klassische Kunden-Broker-Beziehung besteht. Umgekehrt bedeutet das wohl, dass ESMA solche Fälle derzeit nicht von Art 7 Abs 1 lit d MAR erfasst sieht (was anhand des Wortlauts der Definition auch einleuchtet). Dies sieht ESMA als zu eng an und schlägt folgende Erweiterung der Definition vor (aus dem Englischen übersetzt, Einfügungen unterstrichen, Streichungen durchgestrichen):
"[...] Informationen, die von einem Kunden oder einem Eigenhandelskonto oder einem verwalteten Fonds mitgeteilt wurden 7 und sich auf noch nicht ausgeführte Aufträge des Kunden in Bezug auf Finanzinstrumente beziehen, die präzise sind, direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente, damit verbundener Waren-Spot-Kontrakte oder zugehöriger derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen."
Bezüglich Pre-Hedging hat die ESMA mangels Klarheit über die Auswirkungen solcher Praktiken auf die Märkte keinen konkreten Regulierungsvorschlag erstattet. Sie führt aber einige Faktoren an, die der Beurteilung dienen sollen, ob Pre-Hedging marktmissbräuchlich ist oder gegen Conduct-Regeln verstößt.8
Logische Konsequenz der von ESMA befürworteten einheitlichen Anknüpfung der Insiderverbote und der Ad-hoc-Publizitätspflicht an einen einheitlichen Insiderinformationsbegriff ist, dass in zeitlich gestreckten Sachverhalten häufig mit Aufschüben gearbeitet werden muss (so sieht das wohl auch die ESMA, die für die Lösung dieses "Problems" insb auf Art 17 Abs 4 MAR verweist). Gerade derartige Sachverhalte haben zuletzt in der Praxis besondere Schwierigkeiten (insb in Form von Verwaltungsstrafverfahren für Emittenten) verursacht.9
Die ESMA stellt fest, dass von der Aufschubmöglichkeit in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich Gebrauch gemacht wird. Interessant ist auch, dass die Anzahl an Aufschüben unionsweit seit der Anwendbarkeit der MAR laut ESMA-Auswertung jedes Jahr deutlich zunimmt. Änderungsbedarf sieht die ESMA basierend auf ihren Review-Erkenntnissen letztlich keinen. Die Kriterien für den Aufschub gem Art 17 Abs 4 MAR sollen unverändert bleiben, auch Verwaltungserleichterungen bei der Dokumenta-
tion von Aufschüben sind nicht in Sicht. Die ESMA kündigt aber zumindest an, ihre Guidelines zu den Aufschubgründen10 zu erweitern.
Lediglich bei der (nur in Ausnahmefällen anwendbaren) Aufschubmöglichkeit zur Wahrung der Stabilität des Finanzsystems (Art 17 Abs 5 MAR) macht die ESMA einen konkreten Änderungsvorschlag: Demnach sollen zukünftig auch Emittenten einbezogen werden, die ein Mutterunternehmen eines börsenotierten oder nicht börsenotierten Kreditinstituts oder Finanzinstituts sind, sofern die sonstigen in Art 17 Abs 5 MAR festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Zur Definition des Mutterunternehmens verweist die ESMA auf die RL 2013/34/EU (BilanzRL).
ESMA betont die Wichtigkeit von internen Systemen für die Identifizierung von, den Umgang mit und die Veröffentlichung von Insiderinformationen. Sie nimmt in weiterer Folge zwar davon Abstand, derartige Systeme in der MAR explizit vorzuschreiben. Emittenten und Rechtsträger mit regelmäßigem Zugang zu Insiderinformationen haben aber natürlich (wie schon bisher praktisch üblich und im Anwendungsbereich des § 119 Abs 4 BörseG 2018 auch ausdrücklich normiert) derartige Systeme dennoch zu unterhalten. Bemerkenswert ist, dass ESMA offenbar eine geringe Anzahl an Aufschüben als Argument dafür ansieht, dass bei den betroffenen Emittenten Nachschärfungsbedarf in der Compliance-Organisation bestehen könnte.
Das Regime für Marktsondierungen in Art 11 MAR ist nach Ansicht der ESMA schon bisher zwingend zu befolgen. Nachdem man über den zwingenden Charakter von Art 11 MAR nach der derzeitigen Textierung durchaus streiten kann,11 regt die ESMA an, den zwingenden Charakter des Marktsondierungsregimes ausdrücklich in der MAR zu regeln. ESMA wünscht sich auch verwaltungsrechtliche Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung von Art 11 MAR. Zudem soll der Anwendungsbereich erweitert werden. Nach der MAR besteht eine Marktsondierung bekanntlich nur in Fällen der Übermittlung von Informationen "vor der Ankündigung" eines Geschäfts an Anleger. Der Geltungsbereich der Definition soll laut ESMA-Vorschlag durch Einfügen der Wendung "falls vorhanden12" künftig auch jene Fälle einbeziehen, in denen die Transaktion letztendlich nicht zustande kommt und daher nicht "angekündigt" wird. ESMA schlägt die eine oder andere inhaltliche Erleichterung im Marktsondierungsregime vor.13
Zudem beschäftigt sich der Review mit den Themen Anwendungsbereich, Rückkaufprogramme, Insiderlisten, Managers’ Transactions,14 Organismen für gemeinsame Anlagen, Behördenzuständigkeit, Behördenkooperation, Marktüberwachung und Sanktionen/Maßnahmen. Größere Änderungen werden hier nicht vorgeschlagen. Va hofft man als Rechtsunterworfener vergeblich auf signifikante Verwaltungserleichterungen.
Der ESMA-Final-Report wird nun der Kom vorgelegt, die dem europäischen Parlament und dem Rat Bericht zu erstatten hat (Art 38 MAR). Basierend auf den Aussagen des Final Reports erwarten die Autoren aber nicht, dass es zu umfangreichen Änderungen der MAR (Level 1) bzw der delegierten und der Durchführungsrechtsakte (Level 2) kommen wird.15
ESMA, MAR Review report, ESMA70-156-2391 (23. 9. 2020), abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma70-156-2391_final_report_-_mar_review.pdf
Vgl dazu im Detail https://www.esma.europa.eu/press-news/consultations/consultation-mar-review
Für einen Gesamtüberblick eignet sich die Executive Summary auf den Seiten 10 ff des Final Report; vgl zu weiteren, insb für Emittenten interessanten Aspekten auch Müller Partner, Newsletter Kapitalmarktrecht Issue 7 (15. 10. 2020), abrufbar unter: www.mplaw.at, "Kompetenz", "Kapitalmarkt- und Bankrecht", "Newsletter".
Vgl dazu jüngst etwa Vetter/Engel/Lauterbach, Zwischenschritte als ad-hoc-veröffentlichungspflichtige Insiderinformation, AG 2019, 160 (168); Merkner/Sustmann/Retsch, Insiderrecht und Ad-hoc Publizität im neuen Emittentenleitfaden der BaFin, AG 2019, 621 (633); Veil/Gumpp/Templer/Voigt, Personalbezogene Ad-Hoc-Meldungen nach Art 17 MAR, ZGR 2020, 2 (33 f).
Vgl Kom, MAR-Vorschlag KOM(2011) 651 (20. 10. 2011), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011PC0651&from=DE; mwN zur Diskussion im deutschen und internationalen Schrifttum Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht6 (2018) Rz 35.18; Seibt, 1 Jahr Marktmissbrauchsverordnung (MAR) aus Praxissicht, in Bankrechtstag 2017 (2018) 88; Langenbucher, Über die allmähliche Verfertigung des Gesetzes beim Regulieren, ÖBA 2014, 656 (658 ff).
Vgl zum Begriff Pre-Hedging etwa Henderson/Pearson/Wang, Pre-Trade Hedging: Evidence from the Issuance of Retail Structured Products 6. 2. (2019), https://ssrn.com/abstract=3068903
In der englischen Fassung besser formuliert: "conveyed" statt "mitgeteilt wurden"; bessere Übersetzung wäre wohl "Informationen, die von einem Kunden oder einem Eigenhandelskonto oder einem verwalteten Fonds stammen und […]".
Vgl zu diesen Faktoren im Detail Rz 182 des Final Report.
Vgl zuletzt das "BUWOG-Erkenntnis" BVwG 8. 5. 2020, W148 2217970-1/12E ZFR 2020/162, 373 ff.
ESMA, MAR-Leitlinien Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, ESMA/2016/1478 (20. 10. 2016), abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/system/files_force/library/esma-2016-1478_de.pdf
Vgl zur Übersicht des Meinungsstandes Hössl-Neumann/U. Torggler in Kalss/Oppitz/U. Torggler/Winner, BörseG/MAR (2019) Art 11 FN 4.
Eigene Übersetzung des ESMA-Vorschlags "if any".
S dazu im Detail Rz 312 ff des Final Report.
Vgl zu den Themen Insiderlisten und Managers’ Transactions Merkner/Sustmann/Retsch, Ausgewählte Aspekte des Abschlussberichts der ESMA zum MAR Review (9. 10. 2020), abrufbar unter: https://www.glademichelwirtz.com/blog/ausgewaehlte-aspekte-des-abschlussberichts-der-esma-zum-mar-review/; Müller Partner, Newsletter Kapitalmarktrecht (FN 3).
Ebenso Merkner/Sustmann/Retsch, Ausgewählte Aspekte des Abschlussberichts der ESMA zum MAR Review (FN 14).