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MiCAR versus MiFID - Wann ist ein vermögenswertreferenzierter Token kein Finanzinstrument?

Oliver Völkel

Gleichzeitig eine Diskussion der Begriffsdefinitionen "Kryptowert" und "vermögenswertreferenzierter Token" unter der neuen Verordnung über Märkte für Kryptowerte

Noch nicht einmal richtig auf der Welt, stellen sich unter der neuen VO über Märkte für Kryptowerte (MiCAR) bereits die ersten Auslegungs- und Abgrenzungsfragen. Dieser Beitrag widmet sich bestimmten zentralen Begriffen der MiCAR, nämlich dem des Kryptowerts und dem des vermögenswertreferenzierten Token. Insb der zuletzt genannte Begriff wirft eine Reihe an Auslegungs- und Abgrenzungsfragen auf. Denn die Idee des vermögenswertreferenzierten Token - Wertstabilität durch Bezugnahme auf bestimmte Vermögenswerte - kommt jener von derivativen Finanzinstrumenten zumindest nahe. Kryptowerte, die als Finanzinstrument zu qualifizieren sind, fallen aber nicht in den Anwendungsbereich der MiCAR. Ein genaues Begriffsverständnis ist daher essenziell.

1. Einleitung

Hinter dem Akronym MiCAR verbirgt sich ein in Fachkreisen lang erwarteter neuer Rechtsrahmen für Kryptowerte. Angelehnt ist die Namensgebung an die unter Kapitalmarktjuristen bekannte MiFID II, die Markets in Financial Instruments Directive. Anders als die MiFID II, die es als RL den einzelnen Mitgliedstaaten (MS) überließ, die harmonisierenden Vorstellungen des europäischen Gesetzgebers mehr oder weniger getreu in nationales Recht zu gießen, erlangt die Markets in Crypto Assets Regulation als VO in allen MS unmittelbare Geltung.

Inhaltlich beschäftigt sich die MiCAR mit dem öffentlichen Angebot von Kryptowerten (Titel II), vermögenswertreferenzierten Token (Titel III) sowie E-Geld-Token (Titel IV) und stellt Regeln für Anbieter von Krypto-Dienstleistungen (Titel V) und zur Verhinderung von Marktmissbrauch auf (Titel VI). Die VO wurde am 20. 4. 2023 im Europäischen Parlament beschlossen;1 nach Befassung des Rats wird mit einer Veröffentlichung im ABl im Juni 2023 gerechnet. Die VO ist 18 Monate nach Veröffentlichung anwendbar. Davon abweichend gelten die Bestimmungen über die hier diskutierten vermögenswertreferenzierten Token bereits nach Ablauf von 12 Monaten.2

Das regulatorisch neue Konzept des vermögenswertreferenzierten Token (asset-referenced token) zählt wohl zu den spannendsten Bereichen der MiCAR. Die Idee ist rasch erklärt: Ein Emittent begibt einen Token, dessen Wert im Verhältnis zu bestimmten Bezugsgrößen stabil bleiben soll. Vorgaben zum Stabilisierungsmechanismus macht die MiCAR dabei nicht. Eine Nähe zu Finanzinstrumenten liegt zumindest nahe, gerade zu den Derivaten. Doch weit gefehlt: Die MiCAR gilt ausdrücklich nicht für Kryptowerte, die gleichzeitig auch ein Finanzinstrument gem MiFID II sind.3 In einem solchen Fall geht die MiFID II samt umliegenden Rechtsakten vor, wie etwa der Prospekt-VO beim öffentlichen Angebot tokenisierter übertragbarer Wertpapiere oder der MAR bei Marktmissbrauchsfragen.

Die Ausgestaltung des Stabilisierungsmechanismus eines vermögenswertreferenzierten Token als Derivat scheidet also aus, soll der Kryptowert unter MiCAR und nicht unter MiFID II fallen. Für den Wunsch des Rechtsanwenders, der MiCAR den Vorzug zu geben, lassen sich im Übrigen rasch gute Gründe ausmachen: Für das öffentliche Angebot vermögenswertreferenzierter Token ist ein Kryptowerte-Whitepaper zu erstellen, dessen Aufbau und Inhalt dem von Kapitalmarktprospekten ähnelt. Und gleich wie beim Prospekt für übertragbare Wertpapiere nach der Prospekt-VO kennt die MiCAR für das Kryptowerte-Whitepaper ein Notifizierungsverfahren. Damit steht Emittenten eines vermögenswertreferenzierten Token gleich wie Emittenten übertragbarer Wertpapiere der gesamte Binnenmarkt der Union für ihr öffentliches Angebot offen.4 Allerdings legt die MiCAR bei den Wohl-


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verhaltensregeln für Intermediäre einen anderen Schwerpunkt als die MiFID II, was einen Vorteil beim Vertrieb vermögenswertreferenzierter Token im Vergleich zu Finanzinstrumenten darstellen kann. So findet sich bspw unter MiCAR keine mit MiFID II vergleichbare Angemessenheitsprüfung, keine Kundeneinstufung oder Klassifizierung der Kryptowerte. Der Vertrieb vermögenswertreferenzierter Token ist in der MiCAR abschließend geregelt; eine Konzession oder Zulassung nach der jeweiligen Implementierung der MiFID II in den einzelnen MS erübrigt sich.

Es bestehen also potenziell gute Gründe, ein Instrument als vermögenswertreferenzierten Token und nicht als Finanzinstrument zu strukturieren, um in den Genuss des potenziell günstigeren neuen Aufsichtsregimes unter MiCAR zu gelangen. Damit stellt sich aber die Frage: Wann ist ein vermögenswertreferenzierter Token kein Finanzinstrument? Um sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, gilt es zunächst verschiedene Vorfragen zu klären.

2. Was ist ein Kryptowert?

MiCARs zentraler Anknüpfungspunkt ist der Begriff des Kryptowerts (crypto-asset).5 Kryptowert ist definiert als eine "digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts, der bzw. das unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie [DLT] oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden kann".6 Die Definition umfasst damit drei wesentliche Elemente: (i) Verwendung der DLT oder ähnlicher Technologie, (ii) elektronische Übertrag- und Speicherbarkeit und letztlich darauf aufbauend (iii) die digitale Darstellung eines Werts oder Rechts.

2.1. Verwendung von DLT oder ähnlicher Technologie

Zunächst fällt auf, dass die Begriffsdefinition ausdrücklich den Einsatz von DLT oder ähnlicher Technologie verlangt. Dies ist insofern bemerkenswert, als die ebenfalls EU-rechtliche Definition des Begriffs der "virtuellen Währung" nach der 5. GW-RL7 ebenso wie deren Umsetzung im österr Recht technologieneutral formuliert ist.8

Die Aufnahme einer bestimmten Technologie als Definitionsmerkmal bedeutet für den Rechtsanwender, dass er (anders als beim Begriff der virtuellen Währung) nicht bloß auf wahrnehmbare Effekte abstellen darf (bei virtuellen Währungen: die Akzeptanz als Tauschmittel im Markt),9 sondern dass tatsächlich die eingesetzte Technologie zu prüfen und unter den Begriff DLT zu subsumieren ist. Die digitale Darstellung eines Werts oder Rechts ist eben kein Kryptowert, wenn sie nicht zumindest auf einer mit DLT vergleichbaren Technologie basiert.

DLT definiert die MiCAR als "Technologie, die den Betrieb und die Nutzung von Distributed Ledgern ermöglicht".10 Distributed Ledger wiederum ist ein "Informationsspeicher, der Aufzeichnungen über Transaktionen enthält und der unter Verwendung eines Konsensmechanismus auf eine Reihe von DLT-Netzwerkknoten verteilt und zwischen ihnen synchronisiert wird".11 Konsensmechanismus sind "die Regeln und Verfahren, durch die eine Übereinstimmung unter DLT-Netzwerkknoten dahingehend erzielt wird, dass eine Transaktion validiert ist",12 und DLT-Netzwerkknoten ist "ein Gerät oder Verfahren, das Teil eines Netzwerks ist und das eine vollständige oder partielle Kopie von Aufzeichnungen aller Transaktionen in einem Distributed Ledger enthält".13

Beachtenswert an dieser Kettendefinition ist vor allem, was sie nicht enthält: Es fehlt am Erfordernis eines dezentralen Betriebs von DLT-Netzwerkknoten iS eines Zusammenwirkens mehrerer unterschiedlicher Personen, wie dies bei öffentlichen Blockchains (bspw Bitcoin oder Ethereum) der Fall ist. Auch Systeme, die nur von einer einzelnen Person kontrolliert werden (weil diese Person bspw alle DLT-Netzwerkknoten selbst betreibt), können nach der oben zitierten Definition unter den Begriff der DLT fallen.

Öffentliche (permissionless) und dezentrale Systeme, wie zB Bitcoin oder Ethereum, sind von der Definition ebenso erfasst wie von einem einzelnen Unternehmen oder wenigen Personen kontrollierte oder private (permissioned) Blockchains. Dezentralität spielt also keine Rolle. Das mag zunächst verwundern, berücksichtigt man den Ursprung der Technologie. Dezentralität ist ja gerade ihr Alleinstellungsmerkmal, das auch für ihre rechtliche Einordnung relevant ist.14 Eine Erklärung lässt sich jedoch mit Blick auf jene Fälle finden, die der europäische Gesetzgeber bei der Schaffung der MiCAR vor Augen hatte. Allen voran war dies Facebooks Projekt Libra bzw später Diem. Anders als bei Bitcoin & Co spielte Dezentralität bei diesen Projekten gerade keine Rolle. Der europäische Gesetzgeber möchte solche Technologien dennoch von der MiCAR erfasst wissen.

2.2. Elektronische Übertragbarkeit und Speicherbarkeit

Die Legaldefinition verlangt, dass Kryptowerte elektronisch übertragen und gespeichert werden können. Diese beiden Elemente spielten bereits in der Legaldefinition des Begriffs der virtuellen Währung eine Rolle. Übertragung und Speicherung beschreiben dabei jeweils faktische Vorgänge.


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Die Möglichkeit zur Übertragung beschreibt das Übergehen der Verfügungsmöglichkeit über Kryptowerte von einer Person auf eine andere. Eine einmalige Registereintragung auf einer Blockchain, die keine Übertragung zulässt, wäre also bspw nicht als Kryptowert erfasst. Entscheidend ist die generelle Übertragbarkeit und nicht die Übertragbarkeit eines bestimmten Coin oder Token, etwa bei Verlust des privaten Schlüssels zu einer bestimmten Adresse. Ist eine Übertragung, aus welchem Grund auch immer, in tatsächlicher Hinsicht nicht oder nicht mehr möglich, so handelt es sich nicht (mehr) um einen Kryptowert iSd MiCAR.

Die Möglichkeit zur Speicherung beschreibt das Sichern des Kryptowerts einer Person für sich selbst. Dies verlangt, dass der Kryptowert nicht gegen den Willen jener Person übertragen werden kann, die sich in Kenntnis des privaten Schlüssels befindet. Die elektronische Speicherung kann als Gegenstück zur Übertragung gelesen werden, und es kommt wiederum auf die generelle Speicherbarkeit an. Können Coins oder Token, aus welchem Grund auch immer, in tatsächlicher Hinsicht von anderen Personen als den Berechtigten ohne deren Zutun elektronisch übertragen werden, so handelt es sich nicht (mehr) um einen Kryptowert iSd MiCAR.

2.3. Digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts

Um als Kryptowert zu gelten, muss es sich zuletzt um die " digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts " handeln. Der erste Teil dieses Begriffselements (digitale Darstellung) ist ident mit der Definition des Begriffs der virtuellen Währung. Um Wiederholungen zu vermeiden und mangels weitreichend eigenständigen Bedeutungsgehalts sei an dieser Stelle lediglich auf Ausführungen iZm dem Begriff der virtuellen Währung verwiesen.15 Eine detaillierte Auseinandersetzung verdient jedoch der zweite Teil des Begriffselements, der Verweis auf Werte und Rechte.

2.3.1. Digitale Darstellung eines Werts

Digitale Darstellung eines Werts umfasst nach den ErwGr auch einen nicht intrinsischen Wert, der einem Coin oder Token von den betroffenen Verkehrskreisen beigelegt wird.16 Der Wert kann rein subjektiv und etwa lediglich nachfrageseitig durch das Interesse jener Personen begründet sein, die den fraglichen Kryptowert erwerben möchten.17 Dieses weite Wertverständnis dient dazu, um auch Phänomene wie etwa Bitcoin als Kryptowert zu erfassen, die (vergleichbar mit historischen Münzen, Briefmarken oder Sammelkarten) gerade kein Recht, keinen Anspruch, gegenüber einer anderen Person einräumen. Auch solche Emittenten- oder gegenparteilose Coins oder Token sind Kryptowerte, wenn sie einen Wert im hier diskutierten Sinne aufweisen, also eine Nachfrage auf dem Markt erfahren.

Inhaltlich entspricht die Darstellung eines Werts damit wohl weitgehend dem zentralen Definitionsmerkmal der virtuellen Währung, nämlich der Akzeptanz als Tauschmittel, die ebenso ein gewisses Mindestmaß an Nachfrage auf dem Markt verlangt.18 Überhaupt zeigt ein Vergleich der neuen Definition mit jener des Begriffs der virtuellen Währung, dass diese miteinander verwandt sind. Die Definition der virtuellen Währung ist jedoch enger. Insofern bilden virtuelle Währungen eine Untergruppe der Kryptowerte.19 Umgekehrt ist aber nicht jeder Kryptowert auch eine virtuelle Währung (insb bei digitalen Darstellungen eines Rechts; dazu sogleich).

Es lassen sich auch Beispiele von DLT-basierten Token finden, die nicht von der MiCAR erfasst sind. Ein Token, der im Rahmen einer Veranstaltung den Teilnehmern als Souvenir kostenlos ausgegeben wird, wäre mangels Darstellung eines Werts oder Rechts kein Kryptowert - solange sich keine Nachfrage auf dem Markt dafür entwickelt -, auch wenn die anderen Tatbestandselemente der Definition erfüllt sind. Das Gleiche gilt für Token, die etwa als reine interne Recheneinheit eines Smart Contract dienen, nicht übertragen werden können oder sonst keinen Wert im hier diskutierten Sinn aufweisen.

2.3.2. Digitale Darstellung eines Rechts

Aus der Wendung "digitale Darstellung eines Rechts" lässt sich zunächst ableiten, dass zwischen der digitalen Darstellung einerseits und dem Recht andererseits zu unterscheiden ist. Als digitale Darstellung, quasi als Trägermedium, kommt bspw ein Token in Betracht. Token können als digitale Darstellung des Rechts genutzt werden, der Token existiert aber neben bzw unabhängig von dem dargestellten Recht. Was schließlich genau unter der zusammengesetzten Wendung digitale Darstellung eines Rechts zu verstehen ist, lässt sich mittelbar anhand einzelner Bestimmungen der MiCAR ableiten. So soll das Kryptowerte-Whitepaper etwa eine detaillierte Beschreibung der mit dem Kryptowert verbundenen Rechte und Pflichten enthalten, und Emittenten werden bspw verpflichtet, Regeln für die Einlösung von Token vorzusehen.20 Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass unter der digitalen Darstellung eines Rechts eine Art Verknüpfung im weitesten Sinne gemeint ist, wie bspw das Erfordernis, einen Token zu besitzen oder zu präsentieren, um ein bestimmtes Recht auszuüben.

Hinsichtlich der Art der Rechte, die durch Kryptowerte digital darstellbar sind, finden sich in der MiCAR keine inhaltlichen Anforderungen oder Einschränkungen. Relative Rechte, etwa das Recht auf Herausgabe einer hinterlegten Sache, Lieferung einer bestimmten Ware oder Zahlung eines bestimmten Geldbetrags, sind genauso vorstellbar wie absolute Rechte. Hinsichtlich absoluter Rechte ist bspw die Nutzung von Token vorstellbar, um dem


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Verwahrer einer Sache durch Besitzanweisung anzuzeigen, dass daran Eigentum an eine andere Person übertragen wird.

Es kommen jedoch nur solche Rechte in Betracht, die einer rechtsgeschäftlichen Verfügung zugänglich sind. Rechte, die aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Zessionsverbote nicht übertragbar sind, können ebenso wenig wie höchstpersönliche Rechte Gegenstand eines Kryptowerts sein. In solchen Fällen fielen die digitale Darstellung (der Token) und das jeweilige Recht bei Übertragungen auseinander; es läge damit keine digitale Darstellung des Rechts im oben diskutierten Sinn vor. Die Zustimmung des Emittenten zur Übertragung des Token zu verlangen, schadet nach der Definition indes ebenso wenig, wie andere Bedingungen für die Übertragung vorzusehen.

Geht das im Kryptowert digital dargestellte Recht unter, etwa durch rechtsnachfolgelosen Untergang des Emittenten, so verliert das digitale Asset seine Qualifikation als Kryptowert nur dann, wenn es nicht weiterhin auf dem Markt qua Nachfrage eine digitale Darstellung eines Werts ist. Auch Kryptoassets, die ggf entgegen anderslautenden Behauptungen eines Emittenten niemals Rechte dargestellt haben, sind bei entsprechender Nachfrage auf dem Markt dennoch Kryptowerte.

Besonderes gilt für digitale Darstellungen von Rechten, die ua als (i) Finanzinstrumente iSd MiFID II, (ii) Einlagen einschließlich strukturierte Einlagen, (iii) Geldbeträge sowie (iv) Verbriefungspositionen iSd Verbriefungs-VO 2017/2402/EU zu qualifizieren sind. Sie fallen zwar unter die Definition des Kryptowerts, sind jedoch vom Anwendungsbereich der MiCAR ausgenommen.21 Gemein ist den genannten Instrumenten, dass es sich jeweils um schuldrechtliche Beziehungen handelt. Token, die Rechtsverhältnisse iS der vorgenannten Instrumente darstellen, können damit nicht unter die Regeln der MiCAR für vermögenswertreferenzierte Token fallen. Ist das von einem Token digital dargestellte Rechtsverhältnis bspw als Derivat und daher als Finanzinstrument iSd MiFID II zu qualifizieren, so liegt zwar ein Kryptowert vor, die Anwendbarkeit der MiCAR ist aber ausgeschlossen und es greift die MiFID II bzw deren nationale Umsetzungsnormen.

3. Was ist ein vermögenswertreferenzierter Token?

Ein vermögenswertreferenzierter Token (asset-referenced token) ist ein "Kryptowert, der kein E-Geld-Token ist und dessen Wertstabilität durch Bezugnahme auf einen anderen Wert oder ein anderes Recht oder eine Kombination davon, einschließlich einer oder mehrerer amtlicher Währungen, gewahrt werden soll".22 Es handelt sich also um einen Token, der seinen Wert stabil hält (wenn auch nur vorgeblich),23 indem ein oder mehrere Werte oder Rechte (Vermögenswerte) als Bezugsgrundlage verwendet werden.

Zunächst fällt auf, dass es sich nach der Legaldefinition bei einem vermögenswertreferenzierten Token um einen Kryptowert handeln muss. Damit gelten sämtliche oben diskutierten Definitionsmerkmale des Kryptowerts auch für vermögenswertreferenzierte Token. Insb muss es sich also um eine speicher- und übertragbare digitale Darstellung eines Werts oder Rechts im oben diskutierten Sinne handeln.

3.1. Wertstabilität in Bezug auf Vermögenswerte

Um als vermögenswertreferenzierter Token zu gelten, muss der Kryptowert aber zusätzlich Wertstabilität aufweisen. Diese Anordnung ließe grds zwei Lesearten zu. Es könnte mit Wertstabilität einerseits eine Stabilität in Bezug auf eine bestimmte Fiatwährung gemeint sein, etwa dass ein Token stets einen bestimmten Eurogegenwert aufzuweisen hat. Es könnte aber auch die Stabilität in Bezug auf den oder die jeweils referenzierten Vermögenswert(e) gemeint sein, also bspw Stabilität in Bezug auf Gold als Referenzwert oder einen Korb bestimmter Wertpapiere.

Es sprechen die besseren Gründe für die letztgenannte Auslegung, also Wertstabilität im Hinblick auf den oder die referenzierten Vermögenswert(e). Dies lässt sich zum einen aus Bestimmungen der MiCAR ableiten, die einen Marktwert des wertreferenzierenden Tokens unterstellen und auch eine Einlösung zum Marktwert vorschreiben.24 Ein Abstellen auf den Marktwert ist nur dann verständlich, wenn die Wertstabilisierung gerade nicht im Hinblick auf eine Fiatwährung, sondern die referenzierten Vermögenswerte erfolgt. Weiters regelt die MiCAR neben den vermögenswertreferenzierten Token auch E-Geld-Token. Hierbei handelt es sich um Kryptowerte, die eine amtliche Währung als Bezugsgrundlage verwenden, um Wertstabilität zu erreichen.25 Auch dies spricht dafür, die Stabilisierung bei vermögenswertreferenzierten Token im Hinblick auf die referenzierten Vermögenswerte zu verstehen, denn andernfalls wäre der Anwendungsbereich von vermögenswertreferenzierten Token und E-Geld-Token quasi deckungsgleich. Zuletzt ist ein Diskussionspapier zu Titel III der MiCAR26 aufschlussreich, worin vermögenswertreferenzierte Token mit und ohne Zahlungsfunktion voneinander unterschieden werden. Es wird darin festgehalten, dass vermögenswertreferenzierte Token nicht auf die Zahlungsfunktion beschränkt sind.27 Sie können daher auch anderen Zwecken dienen, also bspw zur Anlage oder zur Spekulation. Dies setzt aber voraus, dass gerade keine Stabilität im Verhältnis zu einer Fiatwährung vorliegt. Das Tatbestandselement der Wertstabilität muss sich


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bei vermögenswertreferenzierten Token also auf eine Stabilisierung des Werts im Hinblick auf einen oder mehrere Vermögenswerte beziehen.

3.2. Keine Vorgabe zu referenzierten Vermögenswerten

Die MiCAR schweigt zur Frage, welche Vermögenswerte als Referenz bei vermögenswertreferenzierten Token in Betracht kommen. Im Zuge der Verordnungsgenese wurde die Auswahl zulässiger Bezugswerte von zunächst nur Währungen, Waren und anderen Kryptowerten28 zu nunmehr allgemein Werten und Rechten erweitert. Während nach dem KOM-Entwurf Finanzinstrumente, wie bspw übertragbare Wertpapiere, keine zulässigen Referenzwerte waren, ist nunmehr ebenso vorstellbar, vermögenswertreferenzierte Token auf den Wert von bspw übertragbaren Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten referenzieren zu lassen. Voraussetzung ist freilich, dass der vermögenswertreferenzierte Token dadurch nicht selbst zum Finanzinstrument wird.

3.3. Keine Vorgabe zum Stabilisierungsmechanismus

Die MiCAR schweigt auch zur Frage des Stabilisierungsmechanismus. Es gibt bloß mittelbar Vorgaben, auf welche Weise Wertstabilität zum referenzierten Vermögenswert herzustellen ist (dazu sogleich). Klar ist allerdings, dass die Methode der Wertstabilisierung nicht zur Qualifizierung des Kryptowerts als Finanzinstrument führen darf, da diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich der MiCAR ausgenommen sind. Solche Kryptowerte fallen stattdessen (nur) unter die MiFID II. Ein Instrument, dessen Wert sich von einem oder mehrerer Referenzwerte ableitet, legt eine Nähe zu Finanzinstrumenten (insb Derivaten) jedoch zumindest nahe. Die Kernfrage dieses Beitrags rückt damit näher:

4. Wann ist ein vermögenswertreferenzierter Token kein Finanzinstrument?

Zur weiteren Diskussion soll ein Beispiel dienen. Die A-Bank möchte einen vermögenswertreferenzierten Token auflegen, der den Anforderungen der MiCAR entspricht.29 Der Wert eines A-Token soll stabil im Verhältnis zu Fondsanteilen gehalten werden, die an der Wiener Börse notieren. Kauft ein Kunde einen A-Token von der A-Bank, so bezahlt er dafür den Preis des Fondsanteils und die A-Bank schafft für ihre nach MiCAR vorgeschriebene Vermögenswertreserve Fondsanteile an. Löst der Kunde den A-Token in der Zukunft bei der A-Bank ein,30 händigt sie den entsprechenden Fondsanteil an den Kunden aus oder bezahlt den Kurswert des Fondsanteils im Zeitpunkt der Einlösung. Zivilrechtlich wird das Geschäft als Kaufvertrag mit verzögerter Lieferpflicht der A-Bank strukturiert. Im Kaufzeitpunkt wird zunächst nur der A-Token übergeben. Zur Ausübung des Rechts auf Lieferung ist der A-Token wieder zu präsentieren. Soll stattdessen der Kurswert von der A-Bank an den Tokeninhaber bezahlt werden, kommt es zuvor zu einem gegenläufigen Kaufvertrag. Übertragungen des A-Token führen zu Übertragungen dieser Rechtstellung. Dies ist der Mechanismus, mit dem Wertstabilität zwischen dem A-Token und dem Fondsanteil hergestellt wird. Handelt es sich beim A-Token um ein Finanzinstrument?

Ein Diskussionspapier zu Titel I der MiCAR zeigt die Ansichten des europäischen Gesetzgebers:31 "Die meisten Mitgliedstaaten baten um die Klärung des Anwendungsbereichs der MiCAR und ihrer Beziehung zum Anwendungsbereich der MiFID. Tatsächlich sind die Anwendungsbereiche von MiCAR und MiFID absichtlich eng miteinander verknüpft, da ein Kryptowert mit Investitionszwecken nur dann in den Anwendungsbereich der MiCAR fällt, wenn es nicht in den Anwendungsbereich der MiFID fällt (d.h. wenn es nicht als Finanzinstrument einzuordnen ist). Mit diesem Ansatz sollen Regulierungslücken vermieden werden, die von Akteuren ausgenutzt werden könnten, um die Vorschriften der MiFID zu umgehen. Da der Anwendungsbereich der MiCAR ‚negativ‘ definiert wird (und abdeckt, was nicht von der MiFID erfasst ist), lautet die eigentliche Frage jedoch nicht ‚was ist der Anwendungsbereich der MiCAR‘, sondern ‚was ist der Anwendungsbereich der MiFID‘. [...]".

In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass der europäische Gesetzgeber der ESMA den Auftrag erteilt, binnen 18 Monaten nach Inkrafttreten der MiCAR technische Regulierungsstandards zu dieser Frage zu veröffentlichen.32 Dies ist begrüßenswert, hat sich doch gezeigt, dass die Auslegungspraxis des Finanzinstrumentebegriffs durch Aufsichtsbehörden der einzelnen MS doch recht unterschiedlich ist.33

4.1. Was ist ein Finanzinstrument?

Um vermögenswertreferenzierte Token von Finanzinstrumenten abzugrenzen, ist also zunächst die Frage relevant, was ein Finanzinstrument ausmacht. Die MiFID II unterscheidet (vereinfacht) folgende Finanzinstrumente: (i) übertragbare Wertpapiere,34 das sind handelbare Wertpapiere, wie bspw Aktien und Schuldtitel einschließlich Zertifikaten, sowie Wertpapiere mit derivativer Komponente; (ii) Geldmarktinstrumente,35 wie etwa Schatzanweisungen, Einlagenzertifikate oder Commercial Papers, (iii) Anteile an OGAW nach der OGAW-RL,36 (iv) Derivate,37 also Optionen, Futures, Swaps, Forwards, finanzielle


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Differenzgeschäfte und andere derivative Instrumente,38 sowie (v) Emissionszertifikate.

Als kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich zunächst feststellen, dass alle Finanzinstrumente - und zwar unabhängig von ihrer nationalstaatlichen Ausgestaltung - ein bestimmtes Recht oder Rechtsverhältnis zwischen zwei oder mehr Personen beschreiben, etwa schuld-, eigentums- oder auch gesellschaftsrechtlicher Natur.39 Ein Stabilisierungsmechanismus, der nicht auf der Einräumung eines Rechts beruht, kann damit auch kein Finanzinstrument sein. Zu denken ist hier an sog algorithmische Stabilisierungsmechanismen, bei denen durch automatische Anpassung des Angebotspreises und der Angebotsmenge der Wert des Kryptowerts stabil zu einem Referenzwert gehalten wird. Dies hilft allerdings nur bedingt, denn ein solcher Stabilisierungsmechanismus ist nicht in jedem Fall mit den Vorgaben der MiCAR zur Vorhaltung von Vermögenswertreserven und zur Einlösung vereinbar.40

Doch auch ein Stabilisierungsmechanismus, der letztlich auf einem Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber des Token und einer anderen Person beruht, wie im Beispiel oben die A-Bank, muss nicht notwendigerweise ein Finanzinstrument sein. Hierzu darf das fragliche Rechtsverhältnis nicht mit den oben genannten Instrumenten vergleichbar sein. Vor allem die Derivate bereiten in der Diskussion oft Kopfzerbrechen, weshalb diese näher behandelt werden.

4.2. Was ist ein Derivat?

Es besteht kein einheitlicher Rechtsbegriff des Derivats im österr Recht.41 Der österr Gesetzgeber verweist zur Definition im Rahmen des WAG 2018 zunächst auf die Definition der MiFIR.42 Die MiFIR wiederum verweist weiter auf die Definition der MiFID II,43 nämlich jene Finanzinstrumente, die in Art 4 Abs 1 Z 44 lit c MiFID II definiert sind und auf die in Anhang I C Z 4-10 MiFID II verwiesen wird. Das sind einerseits die Kategorie der übertragbaren Wertpapiere mit derivativer Komponente44 sowie andererseits bestimmte im Detail aufgezählte finanzielle Vereinbarungen (wie etwa Optionen, Futures, Swaps etc).45 Eine inhaltliche Auseinandersetzung des österr Gesetzgebers mit dem Derivatebegriff hat jedoch nicht stattgefunden und soweit ersichtlich haben sich auch weder OGH noch VwGH dazu geäußert, welche Merkmale der Begriff aufzuweisen hat.

In der Lit wird unter Derivat ein Termingeschäft verstanden, das sich von Geschäften des Kassamarkts dadurch unterscheidet, dass (a) der preisrelevante Zeitpunkt des Abschlusses und der wertrelevante Zeitpunkt der Erfüllung zeitlich nicht zusammenfallen und sich (b) sein Wert abhängig von einem Basiswert bestimmt.46 Ergänzend wird mitunter darauf hingewiesen, dass (noch) ein Kassageschäft vorliegt, wenn die Lieferung des Basiswerts innerhalb von zwei Handelstagen oder innerhalb der sonst längeren Standardlieferfrist für den betreffenden Basiswert erfolgt.47 Derivate sollen einerseits der Absicherung und andererseits der Spekulation dienen.48

Die oben unter (b) genannte Preiskorrelation zwischen Basiswert und Instrument wird häufig als zentrales Element des Derivatebegriffs genannt.49 Daraus allein ist freilich zur Abgrenzung des vermögenswertreferenzierten Token vom Derivat wenig gewonnen. Es ist ja erklärter Zweck des vermögenswertreferenzierten Token, seinen Wert mit dem Wert bestimmter Referenzwerte zu verknüpfen. Auch im oben diskutierten Beispiel des A-Token ist das der Fall.

Das oben unter (a) genannte Auseinanderfallen von Abschlusszeitpunkt und Erfüllungszeitpunkt ist ohne weitere Auseinandersetzung ebenso ungeeignet, eine Unterscheidung zwischen Derivat und vermögenswertreferenziertem Token zu ermöglichen. Im Beispiel des A-Token fallen Abschlusszeitpunkt und Erfüllungszeitpunkt zumindest mit Blick auf die Lieferung des Referenzwerts augenscheinlich um potenziell mehr als zwei Tage auseinander.50 Zu Recht wird daher vertreten, dass dieses Element allein nicht ausreiche, um Derivate als Termingeschäfte von anderen Vereinbarungen des täglichen Lebens abzugrenzen, wie bspw von einem einfachen Kauf mit der Abrede einer späteren Lieferung.51

In der deutschen Lit wird für den aufsichtsrechtlichen Derivatebegriff nach der strengen Typuslehre ein fester Kernbestand an unverzichtbaren Merkmalen gefordert, der für ein Termingeschäft zwingend vorliegen muss; ergänzend seien weitere typusbildende Merkmale erforderlich.52 Basis für die Typusbildung ist die inhaltliche Legaldefinition der Derivate im dKWG als "Kauf, Tausch oder anderweitig ausgestaltete Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines Basiswerts ableitet (Termingeschäfte) [...]".53 Notwendige, aber nicht hinreichende Merkmale seien daher der hinausgeschobene Erfüllungszeitpunkt, die Abhängigkeit der Preisbildung des Derivats von einem Basiswert sowie der daraus resultierende Hebeleffekt.54 Zusätzlich müssten einzelne, nicht jedoch alle weiteren typusbildenden Merkmale vorliegen. Diese seien das


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aus dem Hebeleffekt folgende Risiko eines Totalverlusts, das Risiko, über das eingesetzte Kapital hinaus zusätzlich Geldmittel aufbringen zu müssen, sowie die zumindest abstrakte Eignung des Geschäfts zur Kurssicherung.

Der BGH ist diesem Ansatz gefolgt. Nach deutscher Rsp sind Termingeschäfte "standardisierte Verträge, die von beiden Seiten erst zu einem späteren Zeitpunkt, dem Ende der Laufzeit, zu erfüllen sind und einen Bezug zu einem Terminmarkt haben".55 Ausgehend davon stellt der BGH auf eine besondere Gefährlichkeit dieser Geschäfte aufgrund des hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkts ab. Typischerweise seien mit Termingeschäften "die Risiken der Hebelwirkung [...] und des Totalverlustes 56 des angelegten Kapitals [...] sowie die Gefahr, planwidrig zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen, verbunden". Die BaFin tendiert ebenso zur Anlehnung an notwendige Kernelemente des Termingeschäfts.57

Nach der strengen Typuslehre und der oben vorgestellten Judikatur liegt die Sache auf der Hand: Der A-Token ist kein Derivat, denn das Vertragsverhältnis wird nicht von beiden Seiten zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt; der Kunde hat den Kaufpreis bereits geleistet, lediglich die Erfüllung durch die A-Bank ist ausständig, also die Lieferung des Fondsanteils. Es mangelt damit am hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkt im oben diskutierten Sinn. Abgesehen davon mangelt es auch an den typusbildenden Merkmalen des Hebeleffekts, dem Totalverlustrisiko (das über das allgemeine Insolvenzrisiko hinausgehen muss)58 und dem Risiko, zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen.

Doch auch ohne Import der strengen Typuslehre zeigt sich, dass das oben diskutierte Beispiel des A-Token kein Derivat nach österr Recht sein kann. Der vermögenswertreferenzierte A-Token verschafft dem Inhaber keine andere Position als der unmittelbare Erwerb des referenzierten Fondsanteils. Solange der Kaufpreis für den A-Token gleich beim Erwerb desselben bezahlt wird und nicht später (etwa bei Einlösung des Tokens gegenverrechnet wird), ist der vermögenswertreferenzierte Token sowohl für Absicherungs- als auch für Spekulationszwecke gänzlich ungeeignet und kann bereits deshalb kein Derivat sein.59

Dieses Ergebnis lässt sich im Übrigen für alle vermögenswertreferenzierten Token verallgemeinern, wenn sie entsprechend den Vorgaben der MiCAR strukturiert sind. Darin sind klare Vorgaben zur Ausgestaltung vermögenswertreferenzierter Token enthalten, etwa die Bereithaltung einer Vermögenswertreserve und die Beschreibung des Mechanismus zur Zeichnung und Einlösung des Token.60 Eine Absicherung oder Spekulation, die über den einfachen Erwerb des bzw der referenzierten Vermögenswerte hinausgeht, ist bei MiCAR-konformen vermögenswertreferenzierten Token damit praktisch ausgeschlossen.

4.3. Exkurs: Vermögenswertreferenzierte Token als AIF oder PRIIP?

Wer sich mit Argumenten wie lex posterior oder lex specialis nicht näher auseinandersetzen möchte, für den liegt womöglich der Schluss nahe, vermögenswertreferenzierte Token könnten als Alternativer Investmentfonds (AIF) zu qualifizieren sein, wenn das zur Preisstabilisierung genutzte Rechtsverhältnis die Tatbestandselemente der AIF-Definition erfüllt.61 Wie im Beispiel oben gezeigt, bestehen aber durchaus Wege, einen Stabilisierungsmechanismus zu entwerfen, der keine Ähnlichkeit zu AIF aufweist. Im Beispiel oben etwa liegt ein einfacher Kaufvertrag des referenzierten Vermögenswerts vor. Überhaupt bestehen bei Beachtung der Anordnungen der MiCAR für vermögenswertreferenzierte Token kaum Überlappungen zum AIF-Regime.

Wertreferenzierte Token können als verpacktes Anlageprodukt für Kleinanleger (PRIIP) gelten, wenn der eingesetzte Stabilisierungsmechanismus als Anlage zu qualifizieren ist, bei welcher der rückzuzahlende Betrag Schwankungen aufgrund der Abhängigkeit von Referenzwerten oder von der Entwicklung eines oder mehrerer Vermögenswerte unterliegt, die nicht direkt vom Kleinanleger erworben werden.62 Das oben diskutierte Beispiel ist kein PRIIP, da es zum Erwerb des Vermögenswerts durch den Anleger kommt. Je nach Ausgestaltung kann aber ein vermögenswertreferenzierter Token womöglich auch der PRIIP-VO unterliegen.

5. Zusammenfassung der Ergebnisse

Im Ergebnis kann also festgehalten werden:

-Ein Kryptowert unter MiCAR ist eine digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts, der/das unter Verwendung von DLT oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden kann. Darstellung eines Werts umfasst auch einen nicht intrinsischen Wert, der rein subjektiv und etwa lediglich nachfrageseitig durch das Interesse jener Personen begründet ist, die den fraglichen Kryptowert erwerben möchten (zB Bitcoin). Darstellung eines Rechts verlangt eine Verknüpfung des Rechts mit einem Token im weitesten Sinne, wie bspw das Erfordernis, einen Token zu besitzen oder zu präsentieren, um ein bestimmtes Recht auszuüben.
-Ein vermögenswertreferenzierter Token unter MiCAR ist ein Kryptowert, bei dem Wertstabilität durch Bezugnahme auf einen anderen Wert oder ein anderes Recht oder eine Kombination davon, einschließlich einer oder mehrerer amtlicher Währungen, gewahrt werden soll. Nach der nunmehrigen Definition sind übertragbare Wertpapiere oder andere Finanzinstrumente als Referenzwerte zulässig. Der Wert des Token ist in Bezug auf diese Referenzwerte zu stabilisieren.
-Der Stabilisierungsmechanismus darf nicht zur Qualifizierung des Kryptowerts als Finanzinstrument iSd MiFID II füh-

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-ren, weil diese, genauso wie Kryptowerte, die ua E-Geld iSd E-Geld-RL, Einlagen iSd Einlagensicherungs-RL, strukturierte Einlagen iSd MiFID II oder Verbriefungen iSd Verbriefungs-VO sind, nicht vom Anwendungsbereich der MiCAR erfasst sind.
-Ein vermögenswertreferenzierter Token ist ua dann kein Finanzinstrument, wenn der wertstabilisierende Mechanismus nicht auf einem Recht bzw Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber des Token und einer anderen Person beruht. Diesfalls liegt aber möglicherweise kein Stabilisierungsmechanismus vor, der den Vorgaben der MiCAR entspricht.
-Ein vermögenswertreferenzierter Token ist auch dann kein Finanzinstrument, wenn der wertstabilisierende Mechanismus zwar aus einem Rechtsverhältnis besteht, dieses aber nicht mit Finanzinstrumenten nach der MiFID II vergleichbar ist. Wird ein vermögenswertreferenzierter Token nach den Vorgaben der MiCAR strukturiert, so liegt jedenfalls kein Finanzinstrument vor, weil die Eignung solcher Token für Absicherung oder Spekulation nicht über das hinausgeht, was bereits der unmittelbare Erwerb des oder der jeweils referenzierten Vermögenswerte erlaubt.
-Der Stabilisierungsmechanismus vermögenswertreferenzierter Token kann so ausgestaltet werden, dass er keinerlei Ähnlichkeiten zu AIF aufweist und auch nicht als PRIIP iSd PRIIP-VO gilt. Ob dies bei einem konkreten vermögenswertreferenzierten Token der Fall ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung erwogen werden.
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Dieser Beitrag geht von der im Europäischen Parlament angenommenen Fassung P9_TA(2023)0117 aus.


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Vgl die Übergangsbestimmungen in Art 149 Abs 3 MiCAR.


3

Art 2 Abs 4 lit a MiCAR.


4

Vgl Art 16 Abs 4 MiCAR.


5

Auch vermögenswertreferenzierte Token sind nach der Legaldefinition Kryptowerte; s dazu weiter unten Abschnitt 3.


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Art 3 Abs 1 Z 5 MiCAR (im Englischen: "‘crypto-asset’ means a digital representation of a value or of a right that is able to be transferred and stored electronically using distributed ledger technology or similar technology").


7

Art 3 Z 18 5. GW-RL.


8

Vgl die wortgleiche österr Umsetzung in § 2 Z 22 FM-GwG; für eine Auseinandersetzung mit den Definitionsmerkmalen des Begriffs s Völkel, Zum Begriff "virtuelle Währung", ZFR 2019, 346.


9

Vgl FN 7.


10

Art 3 Abs 1 Z 1 MiCAR.


11

Art 3 Abs 1 Z 2 MiCAR.


12

Art 3 Abs 1 Z 3 MiCAR.


13

Art 3 Abs 1 Z 4 MiCAR.


14

Vgl Völkel, Zur Bedeutung der Dezentralität von Blockchains im Privatrecht, ZFR 2019, 601.


15

Völkel, ZFR 2019, 346 (347).


16

ErwGr 2.


17

ErwGr 2.


18

Völkel, ZFR 2019, 346 (348).


19

Wenn die virtuelle Währung auf DLT oder vergleichbarer Technologie basiert, was heute bei allen virtuellen Währungen der Fall ist.


20

Art 34 Abs 5 lit d MiCAR.


21

Art 2 Abs 4 MiCAR.


22

Art 3 Abs 1 Z 6 MiCAR (im Englischen: "‘asset-referenced token’ means a type of crypto-asset that is not an electronic money token and that purports to maintain a stable value by referencing another value or right or a combination thereof, including one or more official currencies").


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Arg: "gewahrt werden soll"; vgl auch die englische Fassung, die dies noch besser zum Ausdruck bringt ("purports to"); diese Auslegung ist sachgerecht, weil andernfalls Kryptowerte, deren Emittenten zwar behaupten, ihr Wert sei stabil, wenn in Wahrheit aber kein Stabilisierungsmechanismus vorliegt, nicht als vermögenswertreferenzierter Token erfasst und damit dem Aufsichtsregime entzogen wären.


24

Vgl zB Art 39 Abs 2 MiCAR.


25

Art 3 Abs 1 Z 4 MiCAR.


26

WK 1273/2021 INIT 2020/0265(COD) vom 28. 1. 2021/4. 2. 2021.


27

Ebd 2.


28

Kommissionsvorschlag COM/2020/593/FINAL.


29

Insb Art 36 MiCAR.


30

Vgl das unabdingbare Recht auf Einlösung in Art 39 MiCAR.


31

WK 191/2021 REV 1 2020/0265(COD) vom 7./14. 1. 2021.


32

Art 2 Abs 5 MiCAR.


33

Vgl Schinerl, Kryptowerte zwischen WAG 2018 und MiCAR, ÖBA 2023, 178 (182) mwN.


34

Art 4 Abs 1 Z 44 MiFID II.


35

Art 4 Abs 1 Z 17 MiFID II.


36

Anhang I C 3 MiFID II.


37

Art 4 Abs 1 Z 49 MiFID II.


38

Vgl die in Anhang I C Z 4-10 genannten Instrumente.


39

Vgl auch Schinerl, ÖBA 2023, 178 (183).


40

Vgl zB Art 36, Art 39 MiCAR.


41

Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 (2015) § 35 Rz 2.



43

Art 2 Abs 1 Z 29 MiFIR.


44

Art 4 Abs 1 Z 44 lit c MiFID II.


45

Anhang I C Z 4-10 MiFID II.


46

Vgl Seggermann in Brandl/Saria, WAG 2018 § 1 Rz 62 mit Verweis auf Roth in Hirte/Möllers, KK-WpHG2 § 2 Rz 78.


47

Art 7 Abs 2 DelVO 2017/565/EU.


48

Seggermann in Brandl/Saria, WAG 2018 § 1 Rz 64.


49

ZB Assmann in Assmann/Schneider/Mülbert, WpHG7 (2019) § 2 Rz 48 ff; Köhler/Büscher in Schwintowski (Hrsg), Bankrecht5 (2018) Kapitel 22 Rz 25 ff.


50

Nicht hingegen mit Blick auf Vertragsschluss und Gegenleistung des Käufers des A-Token! Nur dies ist relevant, s dazu weiter unten.


51

Köhler/Büscher in Schwintowski, Bankrecht5 Kapitel 22 Rz 29 ff.


52

Köhler/Büscher in Schwintowski, Bankrecht5 Kapitel 22 Rz 34 f.


53

§ 1 Abs 11 KWG.


54

Köhler/Büscher in Schwintowski, Bankrecht5 Kapitel 22 Rz 34 ff.


55

Köhler/Büscher in Schwintowski, Bankrecht5 Kapitel 22 Rz 37 mwN.


56

Das Totalverlustrisiko muss über das Insolvenzrisiko hinausgehen und Teil der vertraglichen Vereinbarung sein.


57

Vgl FN 57 sowie BaFin, Merkblatt - Hinweis zur Erlaubnispflicht von Geschäften im Zusammenhang mit Stromhandelsaktivitäten, II Nr 1 lit b.


58

Vgl FN 58 oben.


59

Vgl FN 50 oben.


60

Art 16 ff MiCAR.



62

Art 4 Abs 1 PRIIP-VO.


Artikel-Nr.
ZFR 2023/122

22.06.2023
Heft 6/2023
Autor/in
Oliver Völkel

Dr. Oliver Völkel, LL.M. ist Partner bei Stadler Völkel Rechtsanwälte. Sein fachlicher Schwerpunkt liegt im Bank- und Kapitalmarktrecht sowie im Recht der digitalen Assets und virtuellen Währungen. Zu seinen Mandanten zählen zahlreiche namhafte in- und ausländische Unternehmen und Banken. Oliver Völkel studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und an der Columbia Law School in New York. In der Vergangenheit war er unter anderem an der Universität Wien im Bereich Strafrecht tätig sowie in namhaften international ausgerichteten Wirtschaftskanzleien.