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Mag. Wolfgang Kolmasch
Ob ein unabwendbares Ereignis vorliegt, das von der Gefährdungshaftung nach dem EKHG ausgenommen ist, hängt nach der komplexen Regelung des § 9 EKHG von mehreren Kriterien ab. In der Falljudikatur stehen vor allem die Abgrenzung von außergewöhnlicher und gewöhnlicher Betriebsgefahr sowie die Frage, ob die hohen objektiven Sorgfaltsanforderungen eingehalten wurden, im Vordergrund. Der Sorgfaltsmaßstab wurde vor Kurzem in Zak 2014/775, 406 eingehend behandelt. Die Betriebsgefahr war schon vor Längerem Gegenstand einer Judikaturübersicht in dieser Zeitschrift (Zak 2006/154, 88). Der vorliegende Beitrag bringt diese Übersicht auf den aktuellen Stand.
Gem § 9 Abs 2 EKHG trifft den Halter bzw Betriebsunternehmer im Ergebnis ausnahmsweise dann die Gefährdungshaftung für ein unabwendbares Ereignis, wenn der Unfall unmittelbar auf eine außergewöhnliche Betriebsgefahr seines Verkehrsmittels zurückzuführen ist. Als Auslöser der außergewöhnlichen Betriebsgefahr kommt nicht nur das im Gesetz genannte Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres in Betracht; der Halter muss auch für Ursachen in der eigenen Sphäre oder für höhere Gewalt einstehen (Schauer in Schwimann, ABGB3 VII, § 9 EKHG Rz 44 ff).
Die in der Judikatur herangezogene Definition für die außergewöhnliche Betriebsgefahr geht im Grunde nicht über das hinaus, was schon aus der Unterscheidung gewöhnlich/außergewöhnlich ableitbar ist.1 Aussagekräftiger sind die von der Rsp entschiedenen Einzelfälle. Standardbeispiele für eine außergewöhnliche Betriebsgefahr sind Unfälle nach dem Schleudern oder Verreißen des Fahrzeugs oder weil das Fahrzeug nach einem Vorunfall auf der Autobahn ein Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer darstellt.
ZB 2 Ob 252/03b = ZRInfo 2004/067: Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr liegt vor, wenn zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Verlauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben sind, dass ein Kfz überhaupt in Betrieb gesetzt wird.
Verkehrsmittel / Sachverhalt | Betriebs-gefahr | Entscheidung | |
Bus | |||
Gedränge | Sturz im Gedränge beim Aussteigen | Gewöhnlich | 2 Ob 74/95 = ZVR 1996/78 |
Abschleppen | Abschleppen eines Autobusses durch einen anderen mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h | Gewöhnlich | 1 Ob 42/04i = ZVR 2005/86 |
Eisenbahn | |||
Offene Türe | Offenstehen einer Tür des mit 70 km/h fahrenden Zugs | Außergewöhnlich | 2 Ob 260/04f = Zak 2006/95 |
Kraftfahrzeug | |||
Alkoholisierung | Kfz konnte von seinem schwer alkoholisierten Lenker nicht beherrscht werden | Außergewöhnlich | 2 Ob 339/00t = JBl 2001, 450 |
Auffahrunfall | Fahrzeug wurde durch Anprall unkontrolliert auf das davor stehende Fahrzeug geschoben | Außergewöhnlich | 2 Ob 43/01i = ZVR 2001/62 |
Einsatzfahrt | Geschwindigkeit von 86 km/h im Ortsgebiet | Gewöhnlich | 2 Ob 40/78 = ZVR 1979/158 |
Geschwindigkeit von 75 km/h statt der am Unfallort sonst erlaubten 60 km/h | Gewöhnlich | 8 Ob 18/87 = ZVR 1988/46 | |
Geschwindigkeit / Autobahnen | Begleitfahrzeug des in den ersten Fahrstreifen einfahrenden Schwertransports wurde im Schritttempo schräg zur Fahrbahnachse auf den zweiten Fahrstreifen gelenkt | Außergewöhnlich | 1 Ob 49/95 = ZVR 1996/79 |
Einfahren eines Lkw-Zugs mit langsamer Geschwindigkeit aus dem Beschleunigungs- in einen Fahrstreifen (auch bei schlechter Sicht) | Gewöhnlich | 2 Ob 151/89 = ZVR 1990/157 | |
Geschwindigkeit / andere Straßen | Mehrspuriges Fahrzeug fuhr nach einem Reifenplatzer mit einer Geschwindigkeit unter 10 km/h auf dem rechten Fahrstreifen einer Schnellstraße | Außergewöhnlich | 2 Ob 151/03z |
Fahren mit 10 km/h auf dem Kundenparkplatz eines Einkaufszentrums | Gewöhnlich | OLG Linz ZVR 1994/152 | |
Hindernisse / Autobahnen | Motorrad bildete aufgrund starker Geschwindigkeitsreduktion und Verreißens nach links ein Hindernis für nachfolgende Fahrzeuge (unabhängig davon, ob es sich um ein kontrolliertes Manöver oder eine unkontrollierbare Schleuderbewegung handelte) | Außergewöhnlich | 2 Ob 98/95 = ZVR 1996/103 |
Nach Vorunfall quer über die Fahrbahn auf dem Dach liegendes Auto | Außergewöhnlich | 2 Ob 35/01p = ZVR 2001/70 | |
Pkw kam nach Vorunfall bei Dunkelheit und nasser Fahrbahn ohne Beleuchtung auf dem mittleren Fahrstreifen einer stark befahrenen Autobahn zum Stillstand | Außergewöhnlich | 2 Ob 4/89 = ZVR 1990/101 | |
Fahrzeug kam nach Vorunfall bei Dunkelheit quer zur Fahrbahn so zum Stillstand, dass es in beide Fahrstreifen der Richtungsfahrbahn ragte | Außergewöhnlich | 2 Ob 57/98s = ZVR 1999/36 | |
Blockieren des linken Fahrstreifens durch ein ins Schleudern geratenes Fahrzeug | Außergewöhnlich | 2 Ob 52/04t | |
Anhalten eines Lkw-Zugs mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf dem rechten Fahrstreifen | Außergewöhnlich | 2 Ob 229/01t = ZVR 2003/80 | |
Am Pannenstreifen abgestelltes Fahrzeug ragte zum Teil in die Fahrbahn hinein | Außergewöhnlich | 2 Ob 314/00s = ZVR 2002/40; 2 Ob 359/99d = ZVR 2000/62 | |
Anhalten eines mehrspurigen Fahrzeugs in einem Autobahntunnel mit Gegenverkehr und nur einem Fahrstreifen für jede Fahrtrichtung | Außergewöhnlich | 2 Ob 54/92 = ZVR 1993/120 | |
Verkehrsbedingtes Anhalten | Gewöhnlich | 2 Ob 170/12g = Zak 2013/139 | |
Anhalten im Bereich einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h | Gewöhnlich | 2 Ob 143/83 = ZVR 1984/186 | |
Hindernisse / andere Straßen | Lkw-Zug, der aufgrund von Glatteis auf dem rechten Fahrstreifen einer Freilandstraße zum Stillstand kommt oder sich nur noch langsam vorwärtsbewegt (hier: mit weniger als 6,5 km/h), trotz eingeschalteter Warnblinkanlage | Außergewöhnlich | 2 Ob 181/11y = Zak 2012/640 = ZVR 2013/28 |
Sattelzug blockierte beim Einbiegen auch die Gegenfahrbahn für einige Sekunden (während der Nacht) | Gewöhnlich | OLG Linz ZVR 1985/33 | |
Sattelzug musste beim Einbiegen verkehrsbedingt anhalten und blockierte die Gegenfahrbahn (bei guter Sicht) | Gewöhnlich | OLG Innsbruck 4 R 5/11h = ZVR 2012/130 | |
Landwirtschaftliche Geräte | Am Traktor montierter Pflug, der bei Lenkbewegungen ausschert, insb während der Dunkelheit | Außergewöhnlich | 2 Ob 30/86 = ZVR 1987/123 |
Lenkungsausfälle durch äußere Umstände | Verklemmung der Lenkung durch einen in das Fahrzeug gelaufenen Hasen | Außergewöhnlich | 2 Ob 25/78 = SZ 51/36 |
Ausfall der Lenkung des mit höherer Geschwindigkeit fahrenden Fahrzeugs nach Überfahren eines auf die Fahrbahn geratenen Gesteinsbrockens | Außergewöhnlich | 2 Ob 172/82 = ZVR 1984/179 | |
Tiere | Fehlzündung des Motorrads brachte ein Pferd zum Scheuen, der Motorradlenker verriss beim Ausweichmanöver das Fahrzeug und kollidierte mit dem Tier | Außergewöhnlich | 2 Ob 75/02x = ZVR 2003/46 |
Verreißen des Fahrzeugs nach einem Insektenstich | Außergewöhnlich | 2 Ob 224/65 = SZ 38/152 | |
Motorradsturz aufgrund Kollision mit Wildschwein (auch wenn Schleuderbewegungen fehlen) | Außergewöhnlich | 2 Ob 252/03b = ZRInfo 2004/67 | |
Schleudern eines Rehs nach Kollision in den Gegenverkehr | Gewöhnlich | 2 Ob 112/11a = Zak 2011/751 = ZVR 2012/91 | |
Unkontrollier-barkeit | Schleudern nach Verreißen | Außergewöhnlich | 2 Ob 2341/96w = ZVR 1999/120 |
Schleudern auf glatter Fahrbahn | Außergewöhnlich | 8 Ob 204/82 = ZVR 1984/129 | |
Rutschen aufgrund der Ölverschmutzung der Fahrbahn | Außergewöhnlich | 2 Ob 1142/95 | |
Schleudern wegen Herüberkippens des betrunkenen Beifahrers | Außergewöhnlich | 2 Ob 210/09k = Zak 2010/615 = ZVR 2011/194 | |
Ausbrechen des Hecks zur Fahrbahnmitte bei Ausweich- und Bremsmanöver | Außergewöhnlich | 2 Ob 46/90 = ZVR 1991/40 | |
Rutschen bei Vollbremsung | Außergewöhnlich | 2 Ob 165/89 = ZVR 1991/93 | |
Bus rollte führerlos an, während sein Fahrer in ein Handgemenge mit einem Passagier verwickelt war | Außergewöhnlich | 8 Ob 342/71 = ZVR 1973/10 | |
Verreißen | Verreißen des Fahrzeugs bei Ausweichmanöver auf die linke Fahrbahnhälfte | Außergewöhnlich | 2 Ob 30/92 = ZVR 1993/125 |
Winterausrüstung | Neuwertige Winterreifen, aber keine Schneeketten bei winterlichen Fahrbahnverhältnissen | Gewöhnlich | 2 Ob 18/77 = ZVR 1978/186 |
Schlepplift | |||
Liftbügel | Neben dem Schlepplift stehender Skifahrer wurde von einem Bügel, den ein vorzeitig aussteigender Liftbenützer zur Seite geschleudert hatte, getroffen | Außergewöhnlich | 2 Ob 2433/96z = ZVR 1998/44 |
Schleppspur | Liftbenützer blockierte nach Sturz die Schleppspur bzw rutschte die Trasse hinunter | Außergewöhnlich | OLG Innsbruck ZVR 2004/7; 2 Ob 19/86 = RZ 1987/65 (anders 2 Ob 2/84 = ZVR 1984/297) |
Seilbahn | |||
Pendeln | Pendeln der Gondel beim Aussteigen um ca 12 bis 20 cm | Gewöhnlich | 2 Ob 70/94 = ZVR 1995/74 |
Seilschwingungen | Starke Schwingungen des Tragseils, durch die eine Gondel zu Boden geschleudert wurde, ausgelöst durch eine von einem Hubschrauber herabfallende Last | Außergewöhnlich | 2 Ob 215/07t = Zak 2008/167, 96 = ZVR 2009/54 |
Sessellift | |||
Sturz | Sturz beim Einstieg in einen Doppelsessellift aus dem fahrenden Sessel aufgrund des vorangegangenen Sturzes des Mitpassagiers | Außergewöhnlich | 2 Ob 114/06p = Zak 2007/205 |
Straßenbahn | |||
Geschwindigkeitsänderung | Notbremsung | Außergewöhnlich | OLG Innsbruck ZVR 2000/50; vgl 2 Ob 42/00s |
normale Beschleunigung | Gewöhnlich | 8 Ob 74/87 = ZVR 1988/114 | |
Signalanlage | Ausfall der Signalanlage auf einer Straßenbahnkreuzung | Außergewöhnlich | 2 Ob 224/00f = ZVR 2002/38 = ZRInfo 2001/160 |
Fehlerhafte Programmierung mit Freigabe sowohl für den Querverkehr als auch für die Straßenbahn | Außergewöhnlich | 2 Ob 159/03a = ZRInfo 2005/018 = ZVR 2005/60 |